PODEMOS – "die einzige Kraft, die den Wechsel leiten kann"

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22.12.2015: Seit dem 20. Dezember gehört das traditionelle Zwei-Parteiensystem in Spanien der Geschichte an. Die Volkspartei des bisherigen Regierungschefs Rajoy hat einen traurigen Sieg errungen. Mit dem schlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte ist es ihr fast unmöglich eine Regierung zu bilden. Auf dem zweiten Platz liegt die sozialdemokratische PSOE, dicht gefolgt von Podemos. Die linke Izquierda Unida muss herbe Stimmenverluste hinnehmen und stellt über ihre Liste nur noch zwei Abgeordnete. Unter dem Strich weist das stark fragmentierte Parlament eine deutliche Linksverschiebung auf. Podemos erklärt sich zur "einzigen Kraft, die den Prozess des Wechsels leiten kann".


Die Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy hat sich trotz erheblicher Stimmenverluste zur Siegerin der Parlamentswahl in Spanien erklärt. Sie kommt nur noch auf 28,72% und 123 Sitze im 350-köpfigen Parlament - bei den Wahlen 2011 kam sie noch auf 44% und 186 Sitze. Die sozialdemokratische PSOE erreicht 22,01% und 90 Sitze, die linke Podemos kommt mit ihren Bündnislisten auf 20,66% und 69 Sitze, die rechtsliberale Partei Ciudadanos auf 13,93% und 40 Sitze. Die linke Izquierda Unida (IU) kommt mit 3,67% auf 2 Mandate, auf ebenfalls zwei Mandate mit 0,87% kommt die linksnationalistische bildu aus dem Baskenland. Die linksnationalistische ECR aus Katalonien erreicht mit 2,39% 9 Mandate.

Im weitesten Sinne stehen sich in diesem fragmentierten Parlament ein linksorientiertes Lager mit 172 Abgeordneten und ein bürgerlich, rechtes Lager mit 178 Abgeordneten gegenüber.



Eine Regierungsbildung dürfte außerordentlich kompliziert werden und hätte eine instabile Legislaturperiode vor sich. Zwar haben Pablo Iglesias (Podemos) und Albert Rivera (Ciudadanos) die traditionelle Trennung in "links" und "rechts" für überholt erklärt, aber die Wahl hat die "alte" Trennung nach ideologischen Ausrichtungen deutlich bestätigt.

Auch wenn eine rechte Mehrheit existiert, erscheint ein Regierungspakt als unmöglich. Die Rechte und die Rechtsliberalen, d.h. PP und Ciudadanos, kommen zusammen nur auf 163 Sitze, 13 zu wenig für eine Mehrheit. Ein Pakt der Beiden mit der katalonischen Democràcia i Libertat (DL, Nachfolgeorganisation der langjährigen Regierungspartei Convergència) und anderen konservativen und rechten Parteien hätte zwar eine Mehrheit im Parlament, gilt aber aufgrund ihrer Differenzen, v.a. in der Frage der Unabhängigkeit Kataloniens, als ausgeschlossen. Eine Regierungskoalition zwischen der PP und der sozialdemokratischen PSOE hätte zwar eine stabile Mehrheit – und wird wahrscheinlich aus Brüssel favorisiert -, würde die PSOE jedoch in eine noch tiefere Krise stürzen und ihr womöglich das Schicksal der griechischen Schwesterpartei PASOK bereiten.

Pedro Sánchez, Generalsekretär der PSOE, hat zwar erklärt, dass es Mariano Rajoy zusteht, "zu versuchen, die Regierung zu bilden", die Sozialdemokraten spielen aber damit, dass es ihnen leichter als der PP fallen könnte, andere Kräfte für eine Regierungsbildung zu gewinnen – zumindest um toleriert zu werden. Aber eine Koalition der linksorientierten Kräfte erscheint im Moment unwahrscheinlich, weil dann die PSOE mit der neoliberalen Politik brechen müsste.




"Diese Ergebnisse haben zu einem unregierbaren Spanien geführt", heißt es deshalb in spanischen Zeitungskommentaren.

Aufsteiger PODEMOS

Podemos hat sich erstmals an der Wahl zum spanischen Parlament beteiligt und ist drittstärkste Kraft geworden, knapp hinter der sozialdemokratischen PSOE. Die Partei von Pablo Iglesias kommt auf 42 Abgeordnete. Dazu kommen die Mandate aus regionalen Wahlbündnissen in Katalonien (En Comú Podem: 12), Galicien (Podemas-En Marea-Anova-EU: 6) und Valencia (Podemos-Compromís: 9), die von Podemos unabhängige Fraktionen im Madrider Parlament bilden werden. Podemos und die Abgeordneten dieser Wahlbündnisse, darunter drei Mitglieder der Izquierda Unida, kommen zusammen auf 69 Mandate. Mit Abstand die besten Ergebnisse erzielte Podemos in den Regionen, in denen im Bündnis mit anderen linken Kräften kandidiert wurde: Katalonien (24,7%), Valencia (25,1%), Galicien (25%) und im Baskenland (26%).

Am stärksten hat Podemos in den "Gemeinden des Wechsels" abgeschnitten. Madrid, Valencia, Barcelona, Cádiz, A Coruña, Zaragoza, Santiago und Oviedo werden seit der Kommunalwahl im Mai von Podemos oder von linken Bündnissen regiert. (siehe "Linke Frauen regieren in Madrid und Barcelona" , "Spanien wählt den politischen Wechsel") In diesen Städten hat Podemos auch jetzt die besten Resultate erzielt. Am spektakulärsten ist der Wahlerfolg in Barcelona: En Comú Podem – ein Bündnis von Podem Catalunya, der linksgrünen Iniciativa per Catalunya Verds, der linken Esquerra Unida i Alternativa, der ökosozialistischen Equo und der Vereinigung Barcelona en Comú – erzielte 27% der Wählerstimmen. An zweiter Stelle liegt die linksnationalistische ERC mit 15%. Die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, drückte den "Stolz Kataloniens aus, die PP für immer zerstört" zu haben.

In den anderen Städten, in denen im Mai der Wechsel erfolgte, liegt Podemos an zweiter Stelle; wie in Madrid, das seit Mai von Ahora en Común regiert wird. Dort kam Podemos auf 21% und liegt vor der PSOE an zweiter Stelle hinter der PP. Aus Madrid kommen auch die beiden Abgeordneten der Vereinigten Linken Izquierda Unida.

Pablo Iglesias: Schutz der sozialen Rechte, Reform des Wahlrechts, Recht auf Referenden, Reform des Staatswesens
Pablo Iglesias, Generalsekretär von Podemos, erklärte am Wahlabend, dass am 20. Dezember "Spanien für den Wechsel des Systems gestimmt hat" und dies " ein paar unverzügliche und unumgängliche verfassungsmäßige Implikationen" zur Folge haben müsse. Er fordert vier große Reformen - rote Linien für Podemos in den bevorstehenden Verhandlungen:

  1. Die Stärkung der sozialen Rechte, u.a. durch das Recht auf Wohnen und dem Verbot von Zwangsräumungen wenn es keine Wohnalternative gibt, Garantie der öffentlichen Gesundheitswesens und der Bildung.
  2. Die Reform des Wahlrechts und Einführung eines proportionalen Wahlsystems.
  3. Das Recht auf Referenden, falls die Wahlversprechungen nicht erfüllt werden.
  4. Die Reform der staatlichen Struktur Spaniens und Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit Kataloniens. "Diese Wahlen haben klar gezeigt, dass unser Land eine plurinationales Land ist", sagte Iglesias.

Der Bruch mit der Verfassung von 1978, die die tieferen Machtstrukturen der Diktatur unangetastet ließ, war für PODEMOS schon im Wahlkampf kein Thema mehr, ebenso wenig spielten weitergehende ökonomische Reformen noch eine Rolle.

Bei den anstehenden Verhandlungen werde Podemos nicht über das Einvernehmen mit Parteien sprechen, "sondern über Reformen", kündigte Iglesias an. Und um diese zu erreichen, "werden wir die Hand allen Kräften für die unumgänglichen Veränderungen reichen." Podemos sei die "einzige politische Kraft, die diesen Prozess führen kann", gab sich deren Generalsekretär überzeugt. Den Führungsanspruch von Podemos begründete er mit dem Hinweis: "Podemos und die Kräfte des Wechsels haben mehr als 20% und ungefähr 5 Millionen WählerInnen hinter sich. Wir sind die stärkste Kraft in Katalonien und im Baskenland, und liegen an zweiter Stelle in Madrid, der Comunidad Valenciana, Navarra, Balearen und in Galicien. Die PSOE hat das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte und die PP das schlechteste seit 1989."

In Bezug auf Izquierda Unida meinte Iglesias, dass er die 920.231 Stimmen der von Alberto Garzón geführten Koalition "nicht vermisst". Er könne "Alberto Garzón für sein herrliches Ergebnis nur gratulieren" ätzte Iglesias. Allerdings erkannte er auch an, "dass damit eine traditionelle Kraft, die sehr viele Sachen in unserem Land eingebracht hat, parlamentarisch weiter existiert".

Eine der vor der Wahl geführten Debatten war das Bestreben, dass Podemos und Izquierda Unida (IU) auf einer gemeinsamen Liste kandidieren (siehe Alberto Garzón: „Wir verspielen die nächsten Generationen, nicht nur die nächsten Wahlen!“) Eine Übereinkunft scheiterte am Alleinvertretungsanspruch von Podemos und dem autoritären Führungsstil Iglesias – bis hin zur Auswahl der KandidatInnen. (Podemos auf fragwürdigem Weg?)

Einigkeit hätte stärker gemacht
Wenn Iglesias jedoch meint, dass er die Stimmen für die Izqierda Unida nicht vermisst, dann rechnet ihm die Zeitung El Diario vor, dass Podemos und IU bei einer gemeinsamen Kandidatur auf Grund des spanischen Wahlgesetzes 16 Mandate mehr gewonnen hätten – 85 statt 69. Im Gegenzug hätte die PP neun, die Ciudadanos vier und die PSOE zwei Mandate verloren. Die Linke wäre deutlich stärker im Parlament vertreten. Aber die Chance, durch das gemeinsame Antreten die Austeritätspolitik abzuwählen, wurde von Podemos vertan.



Izquierda Unida: Nur noch zwei Abgeordnete

Das 1986 gegründete Linksbündnis kam nur auf 3,7% der Stimmen und wird damit nur noch zwei Abgeordnete aus Madrid ins Parlament entsenden. Dies sind Alberto Garzón und die Unabhängige Sol Sánchez. Dazu kommen noch drei IU-Mitglieder, die über die Wahlbündnisse in Galicien und Katalonien gewählt wurden. Mit 920.231 Stimmen erzielte die IU/Unidad Popular fast nur noch die Hälfte der Stimmen im Vergleich zur Wahl im Jahr 2011 mit mehr als 1.600.000 Stimmen und 11 Abgeordneten. Das Argument der "nützlichen Stimme" habe viele potentielle IU-Wähler dazu gebracht, Podemos zu wählen, anstatt IU, heißt es in Kreisen der IU-Mitglieder.

Jedoch wurde die Krise und Zerrissenheit der IU schon bei den Kommunalwahlen im Mai offensichtlich. In Madrid spaltete sich die IU, die Regionalorganisation der Kommunistischen Partei PCE trat aus der regionalen Struktur der IU aus, weil die extrem bürokratisierten Parteistrukturen und die Unfähigkeit der regionalen Parteiführung, auf die neuen Protestbewegungen zuzugehen, die vom neuen Spitzenmann der IU, Alberto Garzón, vertretene Öffnung und Verjüngung blockierte. Ein Problem, das die IU nicht nur in Madrid beutelt. (.. und ‘Jetzt Madrid‘ )

Trotz des niederschlagenden Ergebnisses gab sich Garzón am Sonntagabend überzeugt, dass "die IU mit ihrem Beispiel demonstriert hat, dass die Übereinstimmung der Weg ist". Deshalb werde sie damit fortfahren, für die "Werte zu kämpfen, die die Unidad Popular definieren". Trotz des Wahlgesetzes, das die IU extrem benachteiligt, sind "wir die fünfte politische Kraft", sagte Garzón.

Und tatsächlich ist die IU durch das Wahlverfahren nach d'Hont und vor allem durch ein Wahlsystem, das regionale Parteien in bevölkerungsschwachen Regionen begünstigt, schwer benachteiligt. Während die IU für jeden Abgeordneten 454.012 Stimmen brauchte, reichten bei der PP schon 57.692 für ein Mandat, bei der PSOE 59.697 und bei Podemos 74.164. Das zeigt, dass die IU für ein Abgeordnetenmandat achtmal so viele Stimmen benötigt wie die PP. Bei einem repräsentativen Wahlsystem würde die IU anstelle von zwei Abgeordnetenmandaten 13 erhalten, die PP würde nicht 123 Abgeordnete stellen, sondern nur 104.

Mit dieser Wahl ist Spanien nach links gerückt, ohne dass sich die Möglichkeit einer Linksregierung eröffnet. Aber auch die Rechten können nicht regieren. Spanien tritt in eine Phase politischer Instabilität ein. Nicht ausgeschlossen ist, dass es sehr schnell zu Neuwahlen kommen kann. Zumindest bis dahin wird es in Madrid keine handlungsfähige Regierung geben. Das kann den Spielraum der sozialen Bewegungen erweitern - und den der Unabhängigkeitsparteien.

Zu hoffen ist, dass Podemos die Lehre dieser Wahlen kapiert, schreibt Ramon Mantovani aus Barcelona in seiner Wahlanalyse. Die Ergebnisse zeigen, dass Izquierda Unita mit ihrem Vorschlag, alle linken Kräfte - politische und gesellschaftliche - auf einer gemeinsamen Liste und mit einem radikalen Alternativprogramm  zur neoliberalen Politik zusammenzuführen, die Notwendigkeit erkannt habe. Dies sei aber nur möglich auf Basis eines kohärenten Programms und nicht nach den Regeln des wahltaktischen "marketings".

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Grafiken: http://comunistes.cat/, El Diario, Pùblico


siehe auch:

 

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