Cloudworking – Crowdsourcing: Eine neue Unternehmerstrategie – wie darauf reagieren ?

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crowdworking16.04.2016: Cloudworking hört sich noch einigermaßen gut an:“ Arbeiten in der Wolke“, crowdsourcing schon bedrohlicher: „Auslagerung traditioneller interner Teilaufgaben eines Unternehmens an eine üblicherweise unbestimmte Menge von Menschen = Schwarmintelligenz – die crowd –, vornehmlich User im Internet“.

Aufträge werden weltweit ins Netz gestellt, wer interessiert ist, kann bieten, einer oder mehrere erhalten den Zuschlag, der Auftraggeber verwertet die Ergebnisse. Bei kleinteiligen Aufgaben - Mikrotasks – wird von Amazon Mechanical Turk ( AMT ) der Durchschnittsverdienst pro Stunde mit zwei Dollar angegeben, für hochqualifizierte Turker – so heißen die Bieter – mit acht Dollar.

Die 2005 gegründete Amazon Tochter AMT – mit Sitz in Massachusetts- formuliert ihr Unternehmensziel so:

„Amazon Mechanical Turk ist ein Marktplatz für Arbeiten, für die menschliche Intelligenz benötigt wird. Der Webservice Mechanical Turk bietet Unternehmen die Möglichkeit programmatisch auf diesen Marktplatz und eine vielseitige On-Demand-Mitarbeiterschaft zuzugreifen. Entwickler können diesen Service nutzen, um bei der Erarbeitung ihrer Anwendungen direkt auf die Ressource „ menschliche Intelligenz „ zuzugreifen.

Die Datenverarbeitungstechnologie verbessert sich zwar ständig, doch gibt es nach wie vor viele Dinge, die von Menschen effektiver erledigt werden können als von Computern, z. B. das Identifizieren von Motiven in einem Foto oder Video, die Durchführung von Datendeduplizierung, Transskriptionen von Audioaufzeichnungen oder das Recherchieren von Datendetails. Traditionell wurden derartige Aufgaben entweder mit einer großen temporär eingestellten Belegschaft (was zeitraubend, teuer und schwer zu skalieren ist) oder gar nicht erledigt.“

Aber Crowdsourcing reduziert sich nicht auf EDV-mäßig noch nicht bearbeitbare Aufgaben.

Die Zukunft des Crowdsourcing zeigt die IBM Strategie „GenerationOpen (GenO)“ und das Programm „Liquid“, entwickelt im Jahre 2013. Große Projektaufträge, an denen bislang ein Team oft mehrere Monate bis zum Abschluss gearbeitet hatte, werden in viele kleine Arbeitseinheiten aufgeteilt, über das Programm „Liquid“ werden immer mehr Arbeitsanteile über web-basierte Plattformen weltweit ausgeschrieben. Zum Outsourcing kommt die Aufteilung in kleinste Arbeitspakete, d. h. Supertaylorismus.

Und die Nachfrage ist da. Für AMT wird von 500 000 regelmäßigen crowdworkern aus 190 Ländern ausgegangen, die australische Plattform Freelancer nennt 14,5 Mio. Nutzer bei 7, 2 Mio. Projekten.

Und der größte deutsche Anbieter clickworker hat 500 000 Workers On Demand in 136 Ländern mit 30 Sprachen.

Die Weltbank hält ein Umsatzvolumen der Crowdwork Plattformen von 25 Mrd. US Dollar bis zum Jahr 2020 für denkbar.

Also eine neue weltweite Arbeitsorganisation.

Welche Handlungsmöglichkeiten haben Betriebsräte, Gewerkschaften, die crowdworker selbst, welche Forderungen können an den Gesetzgeber gestellt werden?

Betriebsräte

Häufig geht dem crowdsourcing innerhalb von Konzernen die Bildung einer Matrix-Struktur voraus. Dies heißt, dass Beschäftigte ihre Arbeit zeitweise oder auf Dauer nicht mehr nur bei ihrem Arbeitgeber, sondern in Projektgruppen innerhalb des Konzerns machen. Vertragsarbeitgeber und Beschäftigungsarbeitgeber fallen also auseinander. Dies löst Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus.

Betriebsräte/Konzernbetriebsräte sollten dies nutzen, um einerseits die Bedingungen des Einsatzes bei einem Konzernunternehmen zu regeln, andererseits den nächsten möglichen Schritt zu verhindern, ein outsourcing-Verbot in die crowd zu fordern.

Die Vergabe von Aufträgen in die crowd löst Informations- und Beratungsansprüche des Betriebsrates aus, legt man allerdings die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde, handelt es sich nicht um eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung, im Übrigen würde sich beim Versuch der Realisierung eines solchen Anspruchs die vom Bundesarbeitsgericht vielfach zitierte „freie Unternehmerentscheidung“ wohl durchsetzen.

Handelt es sich um ein internes crowdsourcing – d. h, innerhalb eines Unternehmens oder Konzerns - haben die Betriebsräte entsprechende Informationsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Daneben gibt es die Mitbestimmungsrechte gemäß § 87 Betriebsverfassungsgesetz bezüglich Personaldatenverarbeitung, Leistungsbewertung und insbesondere der Arbeitszeitgestaltung . § 80 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz regelt ausdrücklich, dass sich die Unterrichtung auch auf die Beschäftigung von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen, erstreckt.

Der Betrieb als die organisatorische Einheit für die Arbeit der in einem Unternehmen Beschäftigten verliert seine Konturen. Endgrenzte Arbeit auch in der Freizeit – man sitzt eben auch am Sonntag gern am Rechner-  kennzeichnet eine zunehmende Anzahl insbesondere qualifizierter Beschäftigter. Burn-Out und Depressionen entwickeln sich zu einer der häufigsten Arbeitsunfähigkeitsursachen. Die Einhaltung tariflicher oder gesetzlicher Arbeitszeitregelungen – der 8-Stundentag als Regelarbeitszeit – wird immer schwerer überprüfbar. Als Konsequenz wird auf der betrieblichen Ebene z. B. von der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (vdj) in ihrer Frankfurter Erklärung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Festlegung der Arbeitsmenge der Beschäftigten vergleichbar den tariflichen Besetzungsregelungen in der Druckindustrie gefordert . Hinzu  kommen Arbeit in Matrixstrukturen, in EDV-Strukturen des Unternehmens oder Konzerns. Und betriebsübergreifend Arbeit 4.0 und dann auch noch crowdsourcing. Arbeit vereinzelt und führt nicht zusammen. Dies kann zunehmend die organisatorischen Grundlagen des Wirkens von Gewerkschaften und Betriebsräten angreifen, wenn nicht gemeinsame solidarische Gegenkräfte entwickelt werden (1). .  

Gewerkschaften

Im gewerkschaftlichen Bereich werden crowdworker zutreffend als „digitale Arbeitsnomaden“ bezeichnet. ver.di spricht von einer „Kannibalisierung der Arbeitsbedingungen“.

faircrowdworking watch igmDie IG Metall hat unter www.faircrowdwork.org eine Kommunikationsbasis für die crowdworker geschaffen. Gleichzeitig haben beide Gewerkschaften ihre Satzung für Selbstständige erweitert. Das statistische Bundesamt weist 2013 7 % der Erwerbstätigen als Soloselbstständige aus, d.h. 2,97 Mio. Im Jahre 2011 verdiente ein Soloselbstständiger durchschnittlich 13,00 EUR pro Stunde, ein Drittel der Selbstständigen unter 8,50 EUR. In den USA wird die Zahl der Selbstständigen mit 53 Mio., also ca. einem Drittel der insgesamt Erwerbstätigen, angegeben. So selbstständig können nicht viele Menschen in der Arbeit sein. Selbstständige sind eben häufig objektiv, wenn auch nicht immer subjektiv, so abhängig wie Arbeiter und Angestellte, d.h. zumindest arbeitnehmerähnlich.

Nach § 12a Tarifvertragsgesetz können für arbeitnehmerähnliche Personen tarifliche Mindestbedingungen festgelegt werden. Dies könnte ein Ansatzpunkt sein, deutsche Plattformen, über die crowdsourcing betrieben wird, mit der Forderung zu konfrontieren, für ihre „Stammkräfte“ Tarifverträge abzuschließen. Aber alles hängt eben auch von der Bewegung der Betroffenen ab.(2)

Crowdworker

Turk Opticon, die Meinungs- und Bewertungsplattform der crowdworker, nennt acht Hauptkritikpunkte, nämlich

  • Unsicherheiten bei der Bezahlung
  • mangelhafte Möglichkeit der Vollstreckung der Forderungen
  • unaufrichtige, betrügerische Zielformulierungen bei den Aufgaben 
  • untragbare Zeitvorgaben
  • lange Zahlungsverzögerungen
  • unkommunikative Auftraggeber und Administratoren der Plattform
  • Kosten, die auf Seiten der Auftraggeber und Intermediäre entstehen, werden den Auftragnehmern, also den crowdworkern, aufgebürdet
  • niedrige Bezahlung.

Immer noch werden crowdworker als Selbstständige bezeichnet, obwohl sie häufig zumindest arbeitnehmerähnliche Personen sind, weil sie wirtschaftlich von ihrem Auftraggeber abhängig sind. Schwierig wird es aber, einen Arbeitgeber zu finden, der z.B. auf die Zahlung von Mindestlohn verklagt werden könnte. Die Plattformen vermitteln regelmäßig Angebote eines häufig auch noch anonymen Auftraggebers, den der crowdworker gar nicht kennt. Einen solchen Arbeitgeber – der dann auch noch etwa in den USA sitzt – zu verklagen, dürfte auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Und viele crowdworker erbringen Dienste für unterschiedliche Auftraggeber.  

In den USA haben crowdworker eine Plattform, die ihnen regelmäßig die Aufträge erteilte, auf den in den USA geltenden Mindestlohn von 9 US$ = 7,25 EUR verklagt. Entschieden wurde hierüber nicht, es wurde ein Vergleich, aber immerhin über 600.000 US$ geschlossen.

Wenn die Arbeitsebene der crowdworker das Netz ist, ist das Angebot, das insbesondere die Gewerkschaften bieten, eine Möglichkeit, eine kommunikative Vernetzung der crowdworker zu ermöglichen. Über Kommunikation kann es zu gemeinsamen Forderungen kommen. Vielleicht entwickelt sich ja so etwas wie bei den Webern 1844 – diesmal im Netz -, aber das wird nicht reichen. Notwendig ist die Unterstützung des organisierteren Teils der Arbeiterbewegung, hierzu gehört auch die Formulierung entsprechender Forderungen an den Gesetzgeber zur Einschränkung und Beendigung der Kannibalisierung der Arbeit. Erste Schritte sind die Forderung, crowdworker zumindest als arbeitnehmerähnliche Personen rechtlich anzuerkennen, die Arbeitnehmerschutzrechte wie Mindestlohn, Arbeitszeitgesetzregelungen  auf die crowdworker auszuweiten, die Sozialversicherungssysteme für sie zu öffnen.

Crowdsourcing ist ein internationaler Prozess. Die Gegenbewegung muss international sein. Dies ist eine internationale Aufgabe – nicht nur der Gewerkschaftsbewegung.

Text: Detlef Fricke             Foto: TradeBlitz24