Kampf ums Frauenwahlrecht

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05.04.2019: 100 Jahre Frauenwahlrecht. Das Gedenken, die historische Befassung mit dem Thema reißt nicht ab. In Vorträgen, Aufsätzen haben wir gelesen und gehört, in Film und Fernsehen gesehen, wie es damals war, als „die“ Frauen sich ihr Recht zu wählen erkämpften, wie Zehntausende in Berlin dafür demonstrierten.

Aber haben wir auch erfahren, was das Recht zu wählen für die Frauen bedeutete, was sie inhaltlich damit verbunden haben? Nein, in der veröffentlichten Interpretation  dieses Teils der Geschichte haben wir erfahren, dass die Frauen den formalen Akt, wählen zu dürfen, anstrebten – was für sich genommen angesichts der Verhältnisse natürlich bereits ein Kraftakt war!

Der formale Akt, erkämpft mit der Novemberrevolution war aber lediglich Schlußpunkt von Kämpfen, die die Frauen der Arbeiterklasse bereits seit der bürgerlichen Revolution 1848/49 führen mussten, größtenteils unter illegalen Bedingungen.

Die Forderung nach dem Frauenwahlrecht und der auf der I. internationale Konferenz sozialistischer Frauen 1907 in Stuttgart gefasste Beschluss sind Ergebnis eines jahrelangen Prozesses, in dem die Frauen der Arbeiterklasse ihre Vorstellungen entwickelt haben. Das einzige Thema war „Das Frauenwahlrecht“. Dort erfahren wir, dass es den Proletarierinnen keineswegs nur um den formalen Akt ging.

Im Bericht der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands an die Internationale Konferenz sozialistischer Frauen und den Internationalen sozialistischen Kongreß zu Stuttgart für die deutschen Genossinnen, gehalten von Ottilie Bader, wird die Haltung der Frauen in der Arbeiterklasse zusammengefasst und die Unterschiede zur bürgerlichen Frauenbewegung herausgearbeitet:

„…Die sozialistische Frauenbewegung Deutschlands ist von der Überzeugung durchdrungen, dass die Frauenfrage ein Teil der sozialen Frage ist und nur zusammen mit ihr durch die Beseitigung der kapitalistischen und die Errichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnung gelöst werden kann. Die Verwirklichung der frauenrechtlerischen Forderungen löst nicht einmal die Frage für die bürgerlichen Frauen, denn sie lässt an Stelle der alten sozialen Gegensätze zwischen Mann und Frau der bürgerlichen Klassen neue Gegensätze und Konflikte entstehen. Noch weniger aber sichert sie den Frauen der arbeitenden Klasse, welche die große Mehrzahl des weiblichen Geschlechts ausmachen, ihre volle soziale und ihre volle menschliche Emanzipation.

Als Arbeiterin wie als Arbeiterfrau leidet die Proletarierin am stärksten nicht durch die Vorrechtstellung des männlichen Geschlechts, sondern durch die Ausbeutung und Macht seitens der kapitalistischen Klassen, eine Ausbeutung und Macht, die in dem Wesen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung begründet sind. …“

Sie konstatiert, dass Männer und Frauen der Arbeiterklasse gemeinsame Interessen gegenüber der kapitalistischen Gesellschaft haben, gegen die sie gemeinsam Reformen erkämpfen müssen und die sie eines Tages auch gemeinsam beseitigen können.
„Sie muss daher für ihre Befreiung in dem großen weltgeschichtlichen Kampfe streiten, den die ausgebeutete Arbeit gegen das ausbeutende Kapital führt. Die Voraussetzung für den Erfolg dieses Kampfes ist, dass das Proletariat sich klassenbewusst ohne Unterschied des Berufs, des Geschlechts, der Nation, der Rasse zusammenschließt, nur von einer Erkenntnis und einem Willen geleitet, das eine sozialistische Endziel zu erstreben.“

Auch die Verbreiterung der Bewegung wurde in den Blick genommen:

„Sie strebt danach, immer zahlreichere und immer besser geschulte Proletarierinnen als Mitstreiterinnen der revolutionären Arbeiterbewegung, dem wirtschaftlichen und politischen Klassenkampf des Proletariats einzugliedern.“

„Was sie als ihre Sonderaufgabe sieht, das ist: Mittel und Wege ausfindig zu machen und anzuwenden, diese Aufgaben und Fragen dem Verständnis der proletarischen Frauenmassen nahe zu bringen und sie zur bewussten Mitarbeit an ihnen heranzuziehen. (…) In ihrem Interesse, in innigster Gemeinschaft des Zieles und Weges mit ihr und in steter engster Fühlung mit ihrer Entwicklung geht sie in ihrer Arbeit auf dem Sondergebiet ihres Wirkens nach: der Aufklärung und Organisierung des weiblichen Proletariats für den Klassenkampf (…)“

Das war das organisierte Herangehen zur Bildung einer Massenbewegung für das gemeinsame Ziel:

„Im Mittelpunkt ihrer Forderungen (…) steht natürlich die volle politische Gleichberechtigung der Geschlechter, die in einem unbeschränkten Vereins- und Versammlungsrecht und dem aktiven und passiven Wahlrecht der Frauen ihren Ausdruck findet.“

In vielen deutschen Teilstaaten/Herzogtümern galt noch das Vereins- und Versammlungsgesetz von 1850, das den Arbeiterinnen jede politische Betätigung untersagte. Dort steht in § 8:

„Politischen Vereinen ist die Aufnahme von Frauenspersonen, Geisteskranken, Schülern, Lehrlingen verboten. Auch dürfen solche Personen nicht an Veranstaltungen und Sitzungen teilnehmen, bei denen politische Gegenstände behandelt werden."

Erst als dieses reaktionäre Gesetz beseitigt war konnten die Frauen aus der Illegalität heraustreten und mit und in ihren Organisationen umfassend und frei von dem Druck der Illegalität für das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht aktiv werden.

Wie das geschehen sollte, formuliert der Beschluss:

 „Die Proletarierinnen sind durch die engste Solidarität der Klasseninteressen mit dem männlichen Proletariat verbunden, sie sind durch einen unüberbrückbaren Gegensatz der Klassenlage und der Klasseninteressen von den bürgerlichen Frauen getrennt. (…) Ihr Ziel ist die soziale Revolution, die Beseitigung der bürgerlichen Gesellschaft.“

Die Arbeiterinnen sahen also im Wahlrecht keineswegs nur einen formalen Akt. Für sie war es eine Waffe im Kampf um politische Macht mit dem Ziel, die Klassengegensätze zu beseitigen. Sie wollten die Sozialisierung der Wirtschaft, die Befreiung der Frau und der Arbeiterklasse durch Überwindung der Ausbeutungsstrukturen.

„Sie kämpfen mit den Genossen zusammen für ein freiheitliches Vereins- und Versammlungsrecht, für das allgemeine Wahlrecht aller Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts, für eine Reform des Volksbildungs- und Schulwesens, für gründlichen Arbeiterschutz, Mutter- und Kinderfürsorge usw. sie bekämpfen vor allem den Militarismus und die Kolonialpolitik, ganz besonders rührigen Anteil nehmen sie an den Wahlkämpfen.“

Soweit der Bericht an die I. internationale Konferenz sozialistischer Frauen 1907 in Stuttgart, gehalten von Ottilie Baader, Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands.

Der Beschluss, international für das Frauenwahlrecht zu kämpfen, wurde verbindlich gefasst. Sie haben damit den Aufruf „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ in der Frage des Frauenwahlrechts konkret gemacht.

Aus der Geschichte des Frauenwahlrechts ist zu erkennen, dass die Frauen der Arbeiterklasse organisiert und überlegt Schritt für Schritt ihrem Ziel zustrebten, das jeder ihrer Schritte inhaltlich begründet war und strategisch den Weg bestimmte.

  • Sie haben ihre politische Position bestimmt und sorgsam analysiert, was ihrer Klasse nützt. Sie haben beschrieben, was sie von der bürgerlichen Frauenbewegung trennt und begründet, warum sie deren Forderungen als für die Arbeiterklasse für nicht nützlich verwerfen müssen.
  • Das Ergebnis der Diskussionen wurde zusammengefasst und als internationale Forderung „Beschluss betr. das Frauenwahlrecht“ der Öffentlichkeit präsentiert.
  • Die Methode, langfristig Mitkämpfer*innen nicht nur in den eigenen Reihen sondern auch unter Gleichgesinnten zu gewinnen, haben sie verbindlich beschlossen und umgesetzt.

Wir können nachlesen, dass dieses Vorgehen (hier sehr verkürzt dargestellt) dem Frauenwahlrecht zum Durchbruch verholfen hat.

Die soziale Revolution und die Beseitigung der Klassengegensätze stehen noch aus.

Zitate aus “Bericht der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands an die Internationale Konferenz sozialistischer Frauen und den Internationalen sozialistischen Kongreß zu Stuttgart 1907

Heide Janicki

 

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