Frankreichs Linke uneins über Wahlabkommen

Drucken

laurent melechon 16102016 clem14.05.2017: Seit dem 10. Mai gibt es in Frankreich einen folgenschweren Bruch zwischen der Bewegung "La France Insoumise" unter Jean-Luc Mélenchon und der Französischen Kommunistischen Partei (PCF). Millionen Linkswähler hatten gehofft, dass es nach dem erfolgreichen Abschneiden des Wahlbündnisses der alternativen Linken unter Mélenchon bei der Präsidentenwahl (19,6 %) nun zu einem ähnlichen aussichtsreichen Bündnis für die 577 Wahlkreise bei der am 11. und 18. Juni anstehenden Parlamentswahl kommen werde. Stattdessen wurden die Verhandlungen darüber nun abgebrochen.

Bedauerliches Zerwürfnis zwischen Mélenchon und PCF mindert die Chancen auf eine starke linke Opposition gegen den neugewählten Präsidenten Macron

Beide Formationen haben inzwischen ihren jeweils eigenen Parlamentswahlkampf gestartet. Die PCF mit einer Auftaktkundgebung im Gymnase Japy (Sporthalle) von Paris und einer Ansprache ihres Nationalsekretärs Pierre Laurent am 11. Mai. "La France Insoumise" mit einer "Konvention" (Kandidatenzusammenkunft) und Rede von Jean-Luc Mélenchon am 13. Mai in dem Pariser Vorort Villejuif. Die Wahl dieses Ortes war wohl kein Zufall. Villejuif ist eine traditionell linke, seit 1925 bis 2014 ununterbrochen von einem kommunistischen Bürgermeister regierte Arbeitergemeinde im "roten Gürtel" von Paris. Mélenchon hatte hier mit Unterstützung der PCF bei der Präsidentenwahl im ersten Wahlgang 33,7 % erhalten hatte, womit er an der Spitze aller angetretenen Kandidaten lag.

Das Scheitern der Gespräche über ein gemeinsames Vorgehen auch zur Parlamentswahl und die Vermeidung von Konkurrenzkandidaturen gegeneinander in den einzelnen Wahlkreisen kann verhängnisvolle Folgen haben. Wenn sich die Stimmen, die bei der Präsidentenwahl für Mélenchon abgegeben wurden, jetzt in zahlreichen Wahlkreisen zwischen FI und PCF aufspalten, ist zu befürchten, dass in vielen dieser Wahlkreise letztlich beide Formationen nicht in den zweiten Wahlgang kommen werden. Denn dafür muss im ersten Wahlgang der Parlamentswahl in dem betreffenden Wahlkreis eine Stimmenzahl erreicht werden, die mindestens 12,5 Prozent der Wahlberechtigten in diesem  Wahlkreis entspricht. Dies könnte zu einer erheblichen Verringerung der Zahl der linksalternativen Abgeordneten in der künftigen Nationalversammlung führen. Das wäre für die Entwicklung einer kraftvollen linken Opposition gegen den politischen Kurs des neugewählten Präsidenten Macron sowohl im Parlament wie auch in der Öffentlichkeit und in außerparlamentarischen Bewegungen äußerst nachteilig. Die zu befürchtende Schwächung der Linksopposition im Parlament fällt umso mehr ins Gewicht, als es dem rechtsextremen "Front National" unter Marine Le Pen zwar nicht gelungen ist, bei der Präsidentschaftswahl an die Spitze zu kommen, er aber dennoch  in insgesamt 45 Wahlkreisen über 50 % der Stimmen erhalten hat. Damit hat er reale Aussichten auf den Einzug einer starken FN Fraktion in die Nationalversammlung; wo die Rechtsextremen bisher nur mit zwei Abgeordneten vertreten waren.

Erfreulicherweise ergaben sich allerdings inzwischen auf örtlicher Ebene offenbar einige "Lichtblicke", wie die „Humanité“ am 12. Mai vermeldete. Das heißt, in einigen Wahlkreisen wurden trotz des Abbruchs der Verhandlungen auf nationaler Ebene örtliche Vereinbarungen erreicht oder sind sie im Gespräch, gegenseitig keine Konkurrenzkandidaten zu nominieren. Unter anderem wurde in Marseille bekanntgegeben, dass die PCF in dem Wahlkreis, in dem sich Jean-Luc Mélenchon um einen Parlamentssitz bewirbt, keinen kommunistischen Kandidaten aufstellen wird. Ähnliche örtliche Abkommen, auch zugunsten von PCF-Kandidaten, erscheinen im Großraum Paris-Saint-Denis und an einigen anderen Orten, u.a. in Dieppe und in den Vorortbezirken von Rouen erreichbar. Allerdings betrifft dies nur wenige Wahlkreise. Besonders in den Wahlkreisen, in denen bisher schon PCF-Abgeordnete im Parlament waren, die nun für ihre Wiederwahl kandidieren, könnten Konkurrenzkandidaturen dazu führen, dass hier Rechte, Macron-Unterstützer oder sogar Rechtsextremisten letztlich das Rennen machen werden. Ein nationales Abkommen über einen generellen Verzicht auf Konkurrenzkandidaturen hätte dagegen nach vorgenommenen Berechnungen möglicherweise den Weg für den Einzug von mehreren Dutzend bis zu hundert und vielleicht sogar noch mehr linken Abgeordneten in die Nationalversammlung ebnen können.

Der Grund für diese Situation ist im Kern offenbar die Gegensätzlichkeit von strategischen Vorstellungen. "La France Insoumise" geht unter Mélenchons Führung offenbar von der Konzeption aus, dass alle alternativen Linkskräfte sich in der "FI" vereinigen und die bisherigen Linksparteien sich dieser Vereinigung ein- und unterordnen sollten. Durch die Absage an das  "etablierte Parteiensystem" glaubt man, vor allem eine große Zahl von Nichtwählern für linke Politik zurückgewinnen und neu mobilisieren zu können. "FI" soll damit zu einer attraktiven großen linken Sammlungspartei, zum "Linkspol" für alle alternativen Linkskräfte zu werden. Das steht im Gegensatz zum Willen der Mehrzahl der französischen Kommunisten in der PCF, aber auch der Anhänger mancher anderer alternativer Linksgruppen. Sie wollen zwar in einem großen und aussichtsreichen linken Wahlbündnis zur Parlamentswahl anzutreten, aber in diesem Bündnis nicht aufgehen, sondern ihre politische Eigenständigkeit und Unabhängigkeit beibehalten. In vielen Wahlkreisen und Kommunen, in denen bisher schon PCF-Abgeordnete in die Nationalversammlung gewählt worden sind oder kommunistische Bürgermeister und Stadtratsmehrheiten teilweise seit Jahrzehnten tätig sind, geht es dabei um kommunistische Basis-Verbindungen, die historisch gewachsen sind und schon deshalb nicht einfach willkürlich in eine neue linke Sammlungspartei umdirigiert werden können.

Viele fragen sich allerdings dennoch, warum trotz solcher Unterschiede in der strategischen Herangehensweise nicht Wege zu einer Verständigung gefunden werden konnten, zum gegenseitigen Vorteil und vor allem zum Vorteil der 'Entwicklung einer starken Linksopposition gegen die Politik des neugewählten Präsidenten Macron.

Text: Georg Polikeit   Foto: Clem (Jean-Luc Mélenchon und Pierre Laurent, 2010)


 

Zu der Frage, wie es zu dem Bruch zwischen Mélenchon und PCF gekommen ist, veröffentlichen wir nachfolgend im Wortlaut einen Artikel aus der „Humanité“ vom 11.5., der darüber durch die Zitierung von originalen Äußerungen beider Seiten sachlich berichtet und damit einen guten Überblick bietet:

Kommunisten und France Insoumis – die Ursachen eines Zerwürfnisses

Zwischen France Insoumise und der PCF geht nichts mehr, selbst wenn die beiden Formationen, die dazu aufgerufen haben, am 23. April für Jean-Luc Mélenchon zu stimmen, für den bevorstehenden neuen Wahlkampf ein gleiches Ziel verkünden, nämlich Abgeordnete in das Parlament zu entsenden, die fähig sind, die Vorhaben des neuen Präsidenten zu attackieren. Innerhalb von 48 Stunden wurde der im Gang befindliche Meinungsaustausch abgebrochen.

Nach einem Kommuniqué seines Wahlkampfdirektors am Abend zuvor, das das Ende der Diskussion mit den Kommunisten bekanntgab, hat Jean-Luc Mélenchon gestern vor der Kamera von BFMTV zwei bedeutende Fakten bekräftigt: seine eigene Kandidatur zur Parlamentswahl in Marseille und diesen Abbruch der Verhandlungen mit der PCF. "Es wird kein Bündnis mit der PS und der PCF geben. Ich habe Gesten gemacht, um sie zu treffen", erklärte er, die Verantwortlichkeit für diese Entscheidung damit an die Kommunisten und ihren Nationalsekretär Laurent verweisend, der laut Mélenchon über die Gründe der Blockade "lügt". Letzterer dementierte jedoch sofort, diesen Austausch abgebrochen zu haben, und hat gestern über  Medien dazu aufgerufen, dass "die Verhandlungen schnellstens wieder aufgenommen werden". "Aus einem einfachen Grund", fügte er er hinzu, "nämlich dass es, wie Jean-Luc Mélenchon selbst sagt, das Anliegen dieser Parlamentswahl ist, eine Mehrheit in Frage zu stellen, die für Emmanuel Macron heute nicht gesichert ist".

Ein positiver Ausweg aus der Krise ist indessen nicht garantiert, und Kandidaten, die dazu aufgerufen haben, am 23. April den gleichen Stimmzettel in die Urnen zu werfen, könnten am 11. Juni gegeneinander stehen.

Eine totale Überraschung? Nicht wirklich. Der Meinungsaustausch war zwischen FI und PCF schon mehrere Tage angespannt, bis zu dem berühmten Kommuniqué von Manuel Bompard, das ein Stoppsignal gesetzt hat. "Pierre Laurent hat beschlossen, die Diskussionen über die Kandidaturen zu der Parlamentswahl abzubrechen", schrieb er, wobei er behauptete, "zur Kenntnis zu nehmen", dass "die Führung der PCF den Wahlkampf aller ihrer Kandidaten unter dem Zeichen PCF als Mitglied einer heute jedoch nicht mehr existierenden 'Linksfront' gestartet hat".

Von kommunistischer Seite wird versichert, das Telefon niemals aufgelegt zu haben. "Diesen Bruch haben weder ich noch die Führung der PCF weder beschlossen noch gewünscht. Die das Gegenteil behaupten lügen und versuchen, sich von ihrer Verantwortung reinzuwaschen", hat Pierre Laurent am Tag danach ebenfalls per Kommuniqué erwidert. Wie France Insoumise, die ihren Wahlkampfauftakt für kommenden Samstag mit einem nationalen Konvent in Villejuif organisiert, hatte der Nationalsekretär der PCF am Dienstagnachmittag ein Meeting der PCF am heutigen Abend (Donnerstag, 11.5., Anm.) in Paris aus den gleichen Gründen angekündigt, Er hatte auch "mit Ernst und Zorn" seinen Appell an France Insoumise erneuert, "nicht nur in einigen Wahlkreisen, sondern so breit und landesweit wie möglich den Wahlkampf unter einem gemeinsamen Banner zu führen".

Schon vor der Krise in den letzten 48 Stunden war die Temperatur um einige Grad gestiegen mit einem Kommuniqué von France Insoumise, in dem mitgeteilt wurde, dass diese gegen die P'CF Klage erheben werde im Fall einer Verwendung des Bildes von Jean-Luc Mélenchon.

Doch jenseits dieser Episoden bringen diese Reibungen eine unterschiedliche strategische Sicht zum Ausdruck in einer politischen Landschaft, die sich in voller Umgestaltung befindet. Für Jean-Luc Mélenchon geht es darum, aus France Insoumise die einzige linke Antriebskraft zu machen. In dieser Hinsicht reklamiert der EU-Abgeordnete (Mélenchon, Anm.) den Vergleich mit dem Präsidenten von En Marche (Macron, Anm.): "Ich mache mit Emmanuel Macron vergleichbare Dinge, indem ich die alten Parteien zerschlagen will. Wir wollen Ordnung schaffen und den kleinen Manövern ein Ende machen. Wir haben ein einziges Etikett", hat er gestern erklärt. Eine Botschaft, die ein Echo zu seinem Wahlkampfstart im Februar 2016 ist: "Ich schlage meine Kandidatur vor, es ist das Volk, das darüber verfügen wird, ich frage niemanden um Erlaubnis, ich tue es außerhalb des Rahmens der Parteien. Ich bin offen für alle Welt, die Organisationen, die Netzwerke, aber zu allererst die Bürger", sagte er bei TF1 (Fernsehen, Anm.). Seitdem wiederholten die Verantwortlichen von FI immer wieder, dass ihre Bewegung "ein Rahmen breiter Sammlung" sei.

Die PCF ihrerseits, aber auch (die Vereinigung) Ensemble!, haben beschlossen, die Kandidatur von Jean-Luc Mélenchon zu unterstützen, aber ohne sich seiner Bewegung anzuschließen. Die PCF plädierte dafür, in ein und derselben Bewegung "sowohl das Volk wie die Linkskräfte" im Bruch mit der liberalen Politik der letzten Fünfjahres-Amtszeit (Hollandes, Anm.) zu vereinen. "La France Insoumise hatte diese Eingebung, dass man, um die große Zahl ins Spiel zu bringen, dies nicht allein mit den bestehenden Kräften machen könne. Aber ich meine, man wird es auch nicht völlig ohne sie machen können", fügte ihrerseits Clémentine Autain, Sprecherin von Ensemble!, hinzu. Bedauernd, dass sie nicht an den Verhandlungstisch eingeladen worden war, aber von Jean-Luc Mélenchon unter der Handvoll von France Insoumise nominierter Kandidaten erwähnt wurde, ohne deren Charta unterschrieben zu haben, hält sie es im Augenblick weiter für notwendig, "ein Maximum von Abgeordneten wählen zu lassen".

Charta, Wahlkampf und Abstimmungsdisziplin

Diese Meinungsverschiedenheit führt zu einer Unstimmigkeit über den Rahmen einer eventuellen nationalen Vereinbarung. Allen Kandidaten müssen "einen nationalen Wahlkampf aufgrund eines nationalen Programms", von "L'Avenir en commun" ("Die Zukunft in Gemeinschaft",  Wahlprogramm der Bewegung Mélenchons, Anm.) akzeptieren, hat gestern erneut der Verantwortliche für den Parlamentswahlkampf von FI, Bastien Lachaux, anlässlich einer Pressekonferenz erklärt. "Gerade damit wird der Wahlkampf von France Insoumise ein nationaler sein, mit einer einzigen graphischen Gestaltung im gesamten Territorium,, einem gemeinsamen Programm für die Gesamtheit der Kandidaten, einer gemeinsamen Parole 'Die Kraft des Volkes' und einem gemeinsamen Logo, dem 'Phi' (griechischer Buchstabe für FI, Anm.) von France Insoumise", sagte er. Unter diesen Auflagen hat FI regelmäßig wiederholt, dass diese Kandidaten Unterzeichner einer Charta sein müssten, die insbesondere das gemeinsame Label, eine einzige Finanzierungsgesellschaft (mit Möglichkeit von Rückerstattung) und die Abstimmungsdisziplin einschließt.

"Das Banner FI ist kein gemeinsames, das ist der Name einer der Kräfte", die vorhanden sind, meint Olivier Dartigolles. Der Sprecher der PCF, der das Klima von "Rauheit und Heftigkeit" bedauert, ist auch der Ansicht, dass "der bei der Präsidentenwahl erreichte Stimmenanteil das Ergebnis der Kräfte" ist, die den Wahlkampf geführt haben, "darunter die PCF, ihre Abgeordneten und Aktivisten". Und erinnert daran,  die PCF akzeptiert hatte, dass "l'Avenir en commun" (Wahlprogramm der FI, Anm.) die gemeinsame Grundlage der künftigen Mehrheit ist. "Wir teilen die überwiegende Mehrheit dieser Vorschläge, von denen viele aus unserer gemeinsamen Arbeit von 2012, 'l'Humain d'abord' ("Der Mensch zuerst", gemeinsames Programm der "Linksfront" 2012), Anm.) herausgepickt worden sind, offensichtlich gibt es zu manchen Themen Debatten, das ist normal."

Nicht klar genug für Jean-Luc Mélenchon, der gestern mit den Divergenzen argumentiert hat, wie bei der Kernenergie.

Welche Kandidaten in Ivry, Grigny und Montreuil?

Mit der Absicht, dieser Schwierigkeit abzuhelfen, hat die PCF am Ende des ersten Wahlgangs ein nationales Abkommen "unter einem gemeinsamen Banner" vorgeschlagen in der Meinung, dass mit vier Kandidaten mit 19,5 bis 24 % "eine Mehrheit von niemandem erreicht ist".

"Sie haben eine nationale Vereinbarung im Rahmen der FI abgelehnt. Dann gegenseitige Kandidaturverzichte vorgeschlagen. Dann ein anderes nationales Banner. Dann wieder gegenseitige Verzichte", widersprach Manuel Bompart. Exit also für ein nationales Abkommen.

Was eine begrenztere Vereinbarung gegenseitiger Kandidaturverzichte angeht, stieß sie sich an den Bestrebungen von France Insoumise, ihre Kandidaten durchzusetzen insbesondere in den drei kommunistischen Städten Ivry, Montreuil und Grigny. "Es wäre möglich gewesen mit einer Erweiterung der Zahl der betroffenen Wahlkreise, Alexis Corbière (den Sprecher von FI, Kandidat in Montreuil, red. Anm.) in einer großen Zahl von ihnen wählen zu lassen, insbesondere in Paris", betont Olivier Dartigolles.

Ist die Seite definitiv umgeschlagen? So schien es gestern der Wille von FI zu sein. "Wir haben mehrere aus der PCF stammende Kandidaten nominiert. Wir hoffen, dass dies weitergehen wird. Gestern Abend hat Stéphane Peu, PCF-Kandidat von Saint Denis angekündigt, dass er die Charta von France Insoumise unterzeichnen wird. Wir glauben, dass es in den nächsten Tagen weitere geben wird", gab Manuel Bompart gestern bekannt. Seinerseits erklärte Pierre Laurent am Nachmittag: "Wir werden selbst in den Wahlkampf eintreten, aber immer die Hand ausstreckend zu einer nationalen oder lokalen Vereinbarung. Jedesmal, wo dies möglich wird, werden wir zu einer solchen Vereinbarung vorangehen…"