„Wer den Aal hält bei dem Schwanz, dem bleibt er weder halb noch ganz“, sagt ein Sprichwort. Das hätte man beim Thesenpapier beherzigen sollen. Denn aus ihm grüßt Unentschlossenheit und Unschlüssigkeit. Das hat seine Gründe, wenn auch nicht die, die vornehmlich angeführt werden, da das Papier dort am schwächsten ist, wo es die meisten für ordentlich halten.
Der Pferdefuß des Papiers ist seine Krisenanalyse. „Die letztendliche Ursache dieser Finanz- und Wirtschaftskrise ... liegt in der Konsumtionsbeschränkung der Arbeiterhaushalte“. Hier sind wir nicht mehr bei Marx, sondern in der Sismondi'schen Theorietradition. Genau diese Position hat auch z.B. Eugen Dühring vertreten und wurde dafür von Friedrich Engels im „Antidühring“ heftig und trefflich kritisiert (MEW, Bd. 20, S. 266). Oder nehmen wir Lenin: „Aus Sismondis Auffassung, die Akkumulation (das Wachstum der Produktion überhaupt) werde durch die Konsumtion bestimmt … ergab sich natürlich und unvermeidlich die Lehre, daß die Krisen aus der Diskrepanz zwischen Produktion und Konsumtion zu erklären seien.“ (LW, Bd. 2, S. 160) In seiner Ausarbeitung geißelt Lenin dies als unmarxistische „ökonomische Romantik“. Das dies heute wieder modern ist, genau wie das Gerede von der „Aufblähung und Verselbständigung der Finanzsphäre“, ist kein Zufall. Denn wir haben es leider nicht mit einer Renaissance der Marx'schen Gedanken zu tun, da zwar meist Marx gesagt wird, dann aber ein Keynes folgt. Und da Keynes in Teilen nicht viel mehr ist, als ein erweiterter Sismondi, hängen wir erneut in der alten, gammeligen Grütze.
Wer jetzt denkt, das tangiert mich doch nur peripher (kurz: ist mir sch...egal), ist mir zu unpraktisch, den möchte ich auf Lenin hinweisen, der hier eine Spaltung in zwei Wege sah: „Wir verstehen durchaus, warum unsere russischen Romantiker sich die größte Mühe geben, den Unterschied zwischen den beiden angeführten Krisentheorien zu verwischen. Sie tun es, weil mit den angeführten Theorien aufs unmittelbarste und engste prinzipiell verschiedene Einstellungen zum Kapitalismus verbunden sind. In der Tat, wenn wir die Krisen aus der Unmöglichkeit, die Produkte zu realisieren, aus dem Widerspruch zwischen Produktion und Konsumtion erklären, so gelangen wir dazu, die Wirklichkeit, die Tauglichkeit des Weges zu verneinen, den der Kapitalismus geht, so erklären wir ihn für einen 'falschen' Weg und beginnen nach 'anderen Wegen' zu suchen. Wenn wir die Krisen aus diesem Widerspruch ableiten, müssen wir annehmen, daß der Ausweg aus dem Widerspruch um so schwieriger wird, je weiter er sich entwickelt. … Umgekehrt, wenn wir die Krisen aus dem Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und dem individuellen Charakter der Aneignung erklären, so erkennen wir damit die Wirklichkeit und die Fortschrittlichkeit des kapitalistischen Weges an und verwerfen die Suche nach 'anderen Wegen' als unsinnige Romantik. Wir erkennen damit an, daß der Ausweg aus diesem Widerspruch um so leichter wird, je weiter er sich entwickelt, und daß der Ausweg gerade in der Entwicklung der gegebenen Ordnung liegt.“ (LW, Bd. 2, S. 166, Kursivsetzung im Original)
weiter siehe Anhang
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