Wo bitte geht’s hier zum Winterpalais?

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pressefest2014 conrad schuhler mami 535624.07.2014: Zum Zusammenhang von Reform, Transformation, Revolution diskutierten auf dem UZ-Pressefest auf der Bühne der DKP-Südbayern Conrad Schuhler vom isw-München, Walter Baier (transform Europe, KPÖ) und Leo Mayer (DKP-Südbayern, marxistische linke). Wir dokumentieren hier das Eingangsstatement von Conrad Schuhler.

 

Das Winterpalais war die Sommerresidenz der Zaren in St. Petersburg, wo 1905 ein erster großer revolutionärer Aufbruch stattfand. Unsere Frage meint also politisch: Wie gelangen wir zur Revolution? Das Konzept der Transformation will weg von der alten Gegenüberstellung, die auch die sozialistische Bewegung entzweit hat: nämlich hier Reform bzw. Reformen und dort, ganz woanders, Revolution. Das Konzept der Transformation will hin zu einer politischen Bewegung, die Reformen anstrebt, die auf eine Überwindung des Kapitalismus abzielen - also das Zusammenfassen des Perspektiv-Ziels des Sozialismus mit dem Nahziel konkreter Reformen. Siehe Rosa Luxemburgs Formel von der „revolutionären Realpolitik“. Der Kampf um Reformen muss geleitet werden vom Ziel des Sozialismus. Die Reform, sagt Rosa, ist das Mittel, die Revolution ist der Zweck der reformerischen Anstrengung.

Wobei ich hinzufügen würde, angesichts der fatalen Auswirkungen der kapitalistischen Krise muss es bei Reformen immer auch darum gehen, die Lebenslage der arbeitenden Klassen zu verbessern und die Kriegsgefahr der imperialistischen Politik einzudämmen. Doch zum innersten Kern einer „revolutionären Realpolitik“ gehört. Dass die Reformen eine Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit und eine Bewusstwerdung der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten über dieses Klassenverhältnis mit sich bringen.

Heute geht es bei diesen konkreten Reformen um den Ausbau des Öffentlichen in der heutigen Gesellschaft, um das Durchsetzen von Demokratie und d.h. Selbstbestimmung – um  die demokratische Regulierung der Wirtschaft; um  Mitbestimmung in Unternehmen und Kommunen; um ein ausgebautes und jedem zugänglichen Bildungs- und Gesundheitswesen und ebensolchem System sozialer Sicherheit.

Zwei strategische Punkte sehen die Vertreter der Strategie der Transformation: einmal den offensiven Aufbau sozial wie kulturell verankerter Gegenmächte von links und von unten. Zum andern müssen wir dafür sorgen, dass aus den Rissen im Lager der Gegner Brüche werden. „Wir müssen Bündnispartner aus dem herrschenden Block gewinnen.“

Hier setzen die großen Probleme an:

Der Aufbau der Gegenmacht. Für Marx produziert die Bourgeoisie „vor allem ihren eigenen Totengräber“ (Manifest). Die revolutionäre Vereinigung der Arbeiterklasse.

Dies jedoch hat sich als nicht so einfach herausgestellt. Gramsci hat darauf verwiesen, dass die Bourgeoisie über die „kulturelle Hegemonie“ verfüge. Auf der Seite des Kapitals steht nicht nur ein staatlicher Zwangsapparat, sondern befinden sich auch mächtige Apparate, die sich des Denkens und Fühlens der Gesellschaftsmitglieder bemächtigen – Medien, Verbände, Kirchen, Schulen usw. Die Revolutionsstrategie, sagt Gramci, müsse vom Bewegungskrieg zu einem „Stellungskrieg“ übergehen, wo sich die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten mit Hilfe ihrer „organischen Intellektuellen“ die Deutungshoheit über die Praxis und wünschenswerte Zukunft der Gesellschaft erkämpfen.

Nehmen wir unser Land, dann liegen wir in diesem Kampf um „kulturelle Hegemonie“ noch weit zurück. Tatsächlich (Heitmeyer, Deutsche Zustände) sieht sich der Großteil der Verlierer der neoliberalen Ordnung zu Recht als Verlierer – sie akzeptieren ihre subalterne Stellung. Die anderen waren eben besser im Wettbewerb.

Zum anderen pflegen die Belegschaften der Großbetriebe (Dörre) zu einem großen Teil einen „Krisen-Korporatismus“ mit dem Kapital – „ihr“ Betrieb soll im globalen Wettbewerb obsiegen, dafür strengen sie sich an und nehmen auch mal Opfer in Kauf.

Zum Dritten schließlich entwickelt sich in den Protestbewegungen eine Elite von expert citizens heraus, die als Alternative zu den Bürokratien des kapitalistischen Staates die aufgeklärte, bessere Fachkraft der Bewegungen setzt. Dies enthält höchst positive Ansätze, aber auch die Gefahr, dass an die Stelle der Überwindung der Klassenherrschaft des Kapitals der Konflikt um die Kriterien der besten Facheliten tritt.

Der zweite Punkt, Bündnispartner aus dem herrschenden Block zu gewinnen, ist ebenfalls höchst kompliziert. Ohne Frage haben wir Risse im Lager des Kapitals auch in kulturell-ideologischer Hinsicht. Dennoch ist dort die Dominanz der neoliberalen Strategie noch nicht angefochten.

Auch die bürgerlichen Kritiker des Neoliberalismus wollen zwar die Gesellschaft aktiv vorantreiben und so genannte Auswüchse beheben, sie wollen dabei aber die bislang untergeordneten Gruppen in ihrer unterlegenen Position fern der Macht halten. Ein Beispiel dafür war das Wirken des vor wenigen Tagen verstorbenen Feuilleton-Chefs der FASZ, Frank Schirrmacher. Er ging so weit zu sagen, er glaube, dass die linke, die marxistische Kritik recht habe. Doch seine Vorschläge liefen alle auf ein aufgeklärtes Herrschaftsverhalten der schon bisher herrschenden Klasse hinaus.

In engem Zusammenhang damit steht die Bemerkung von Demirovic: „Die machtvollen und herrschenden Gruppen sind nicht blöd, sondern begreifen auch die gradualistische Strategie als eine, die sich gegen ihre Interessen richtet.“ Deshalb kommt es bei dem Zusammengehen mit Bündnispartnern aus dem herrschenden Block vor allem darauf an, mit den Reformen eine Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen den Kapital und der Arbeiterklasse und ihren Verbündeten zu erzielen. Solche Bündnisse bergen immer einen Konflikt, denn, wie gesagt, auch der kapitalistische Partner dabei ist nicht blöd.

Eine „passive Revolution“, wie Gramsci eine vorantreibende Umgestaltung im System nennt, wäre in der gegenwärtigen Krise v.a. als „Green New Deal“, als eine Umgestaltung der Produktivkräfte hin zu einer nachhaltigen, Umwelt und Mensch schonenden Wirtschaftsweise zu erwarten. Hier bestünde auch am ehesten die Möglichkeit eines längeren Investitionsschubes, der das nach profitablen Anlagen suchende Kapital beschäftigen könnte – noch weit über die mikroelektronische Umwälzung der letzten Jahrzehnte hinaus. Bislang haben sich die Kräfte für einen solchen Green New Deal im Kapitalismus nicht durchgesetzt.

Für die linke Bewegung, die ihrem Ziel Sozialismus näher kommen will, entsteht beim Green New Deal ein sowohl theoretisches wie sehr schnell praktisches Problem. Der Faktor Zeit wird zu einem politischen Faktor. Die Reformen müssen schnell kommen, sonst wirken sie nicht mehr ausreichend. Der Druck würde zunehmen, Reformen zuzustimmen, die die Katastrophe möglicherweise etwas hinausschieben, aber letztlich die Vorherrschaft des Kapitals absichern und daher u.a. den endgültigen Erlebnisfall der Katastrophe garantieren.

Wenn hier Schwierigkeiten, Probleme der Transformationsstrategie aufgeführt werden, dann, um sie bewältigen zu können. Zur Strategie gibt es keine vernünftige Alternative – Reformen, die das Leben der Menschen verbessern, ihre demokratischen Rechte und Fähigkeiten stärken, die das Kräfteverhältnis der heute Unterlegenen so weit zu ihren Gunsten veränderten, dass die Gegenseite es nicht wagen kann, bei dem unvermeidlichen Bruch konterrevolutionäre Gewalt einzusetzen.

Conrad Schuhler, isw-München Foto: mami