Heinz Stehr: Teil der Bewegten oder doktrinäre Besserwisser

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16.11.2015: Auch Heinz Stehr, ehemaliger Parteivorsitzende der DKP, konnte seinen Beitrag auf dem 21. Parteitag der DKP nicht halten. Wir dokumentieren hier seinen geplanten Redebeitrag.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste,

diese Zeit hat viele Elemente einer Umbruchperiode und ist voller neuer Herausforderungen. Die Entwicklung der Flüchtlingsströme signalisiert die Dramatik unhaltbarer Lebensumstände in vielen Regionen der Erde. Die imperialistische Weltordnung zugunsten des transnationalen Finanzkapitals ist ursächlich verantwortlich für grausame Kriege, Unterentwicklung, Hunger, ökologische Katastrophen und Zukunftsängste.

Auch die Tatsache der bewundernswerten Leistung vieler Helferinnen und Helfer und der solidarischen Haltung großer Teile der Bevölkerung kann den Skandal der Verantwortung des Kapitalismus für Hunger, des Elend und der Missachtung der Menschenwürde auf dieser Erde nicht überdecken. Es fehlt nicht an Geld oder materiellen Mitteln, diese Entwicklung ist gewollt und bewusst herbeigeführt worden.

Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar, weil die Ursachen bestehen bleiben und die Verursacher die Macht besitzen, um sie für ihre Profitziele zu missbrauchen. Hoffnungen erwachsen aus den aktuellen Bewegungen gegen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Neonazismus. Die Tatsache jedoch, dass mit TTIP, CETA und TISA eine neue Etappe der Verteilungspolitik für die Großbourgeoisie entwickelt wird, kann und wird das Elend auf dieser Welt vergrößern. Die 3,4 Millionen Unterschriften und die Großdemo in Berlin signalisieren den Befürwortern Widerstand und Kampfbereitschaft. Erste Äußerungen in Berlin und Brüssel zeigen, dass diese Botschaft angekommen ist.

Endlich zeigt sich auch in der BRD in vielen Branchen Widerstand in Streiks und Aktionen der Arbeiterbewegung, organisiert durch Betriebs- und Vertrauensleute mit Unterstützung der Gewerkschaften. Dieses Land ist nicht länger eine weitgehend streikfreie Zone. Der soziale Umbau zu Lasten der Bevölkerung, vor allem der Beschäftigten und Erwerbslosen, wird partiell bekämpft. Das Jahr 2015 brachte Streiks in vielen Branchen, es waren die intensivsten seit vielen Jahren.

Die Gewerkschaftsbewegung hat auf den Kongressen des DGB, der IGM und von ver.di deutlichere antikapitalistische Positionen entwickelt. Die Entpolitisierung der DGB - Gewerkschaften scheint überwunden. Über Arbeitszeitverkürzung wird diskutiert, die IG Metall fordert eine Neubegründung für Europa.

Die rechten Kräfte wollen die Umbruchperiode für sich nutzen, Reaktionäre mit vielen Namen und Gesichtern versuchen, die Republik nach rechts zu drängen. Aber es ist auch umfassender Widerstand aktiv. Losungen, Kampfformen und Aktionen sind ermutigende Signale gegen Rechts und Faschismus. Vieles ist in Bewegung gekommen, noch ist unklar, was sich durchsetzen wird und wie es in Zukunft aussehen wird.

Das sind einige der großen Herausforderungen dieser Zeit, in der sich Kommunistinnen und Kommunisten bewähren müssen. Wir entscheiden selbst, ob wir als nützlicher Teil der Bewegten agieren oder als doktrinäre Besserwisser uns selbst isolieren.

Die politische Intention des von der Mehrheit des PV vorgelegten Leitantrages für diesen Parteitag lässt Zweifel wachsen, ob die DKP einen konstruktiven Part in den neuen Kämpfen spielen kann.

Die Hauptintention empfinde ich als Weichenstellung zu einem neuen Programm, einem anderen Statut, einem anderen politischen Selbstverständnis. Kein Signal für die Unterstützung sich bildender gesellschaftlicher Allianzen, kein Zugehen auf politische Kräfte in Bewegungen, keine überzeugende Analysen, keine Losungen und Benennungen von Zielvorstellungen, die mobilisieren und zusammenführen. Das ist erkennbar Folge der Tatsache, dass führende Köpfe der heutigen Parteiführung das Programm in der Vergangenheit ablehnten und es revidieren wollen.

Mit der Einführung neuer Inhalte z.B. der Kennzeichnung der DKP als marxistisch- leninistische Partei, des demokratischen Zentralismus in der Betonung des Zentralismus, der Denunzierung des Kampfes um Reformen als Reformismus, der Negierung von notwendigen Übergangsformen auf dem Weg zu Sozialismus, der notwendigen Aktionseinheits- - und Bündnispolitik und einer Darstellung Stalins als Kommunist, der auch hervorragende Leistungen erbracht hätte, wird letztendlich die Einheit der Partei, vielleicht auch deren Existenz in Frage gestellt. Nun behaupten einige, es würde sich nichts ändern, meine Gegenfrage ist, warum ändert ihr denn programmatische Inhalte?

Statt Signale der notwendigen Diskussion und das solidarischen Streitens mehren sich Anzeichen für eine Abrechnung mit Genossinnen und Genossen, die erklärterweise diesen Weg nicht mitgehen werden!

Ich fordere die Mehrheit des noch amtierenden PV auf, diese innerparteiliche Konfrontation zu beenden. Ein Signal wäre es, auf diesem Parteitag das gültige Programm und Statut zu bestätigen, die anderen Dokumente weiter zu diskutieren unter Einbeziehung der Positionen, die Uwe Fritsch eingebracht hat, und für einen neuen PV einzutreten, in dem alle Landesverbände und alle in der DKP vorhandenen Positionen entsprechend der Mehrheitspositionen in den Ländern vertreten sind. Notwendig bleibt eine aktive Mitarbeit in der EL!

Eine DKP in dem politischen Selbstverständnis des Programms und Statut ist bitter nötig in diesem Land und in Verantwortung gegenüber Freunden und Genossinnen und Genossen international!