21.11.2015: Ich war nicht gerne Gast des 21. Parteitags der DKP. Politische Inhaltslosigkeit langweilt mich. Radikal klingende Phrasendrescherei und der unter den Delegierten weit verbreitete Zwang, Bekenntnisse abzulegen, wahlweise zur DDR als der größten Errungenschaft der deutschen Arbeiterklasse oder zum Marxismus-Leninismus, stellen in ihrer sektenhaften Verengung schon eine Geduldsprobe dar. Und angesichts eines Parteivorsitzenden, der vom Präsidium herab über Inkonsistenz und Inkontinenz kalauert, freue ich mich wieder auf Gesprächsrunden mit Freunden aus der Gewerkschafts- oder Friedensbewegung, die nicht mal am Biertisch auf ein solches Niveau herabsinken.
Mit der Verabschiedung des Leitantrags und der Handlungsorientierung hat die Mehrheit der Parteitagsdelegierten wesentliche programmatische Aussagen der DKP verändert. Deutlicher erkennbar wird nun, wohin die Fahne gepflanzt wird, und dass es sich bei den Änderungen keineswegs nur um „Nuancen“ handelt, wie Patrik Köbele behauptet.
In der Bündnispolitik muss man vielmehr von einer Kehrtwende sprechen. Teile der DKP stellen in den fortschrittlichen Bewegungen nicht mehr das gemeinsame Interesse heraus und fördern die Bündelung der Kräfte, sie suchen vielmehr die Auseinandersetzung gerade unter den linken Kräften. Einen Vorgeschmack auf die Form dieser Auseinandersetzung lieferte Lucas Zeise ab mit einem auf Falschaussagen und Halbwahrheiten beruhenden, politisch katastrophalen Angriff auf die Friedensbewegung. Sein Beitrag gipfelte in der Behauptung, die Friedensbewegung selbst behindere die Mobilisierungskraft im Land, weil sie statt von Kriegen verharmlosend von Auslandseinsätzen der Bundeswehr spreche. Diffamierung und Besserwisserei gehen bei Zeise Hand in Hand.
Da wundert schon nicht mehr, dass die DGB-Gewerkschaften angeblich „wichtige Teile der deutschen Akl. (sic!) vom proletarischen Internationalismus ab(halten)“ und sie in „Bündnisse mit dem eigenen Imperialismus (treiben)“, wie im Papier zur Internationalen Arbeit behauptet wird. Der sprachliche Murks ist kein Zufall. Nehmen wir mal an, hier ist die Verteidigung von Standorten und Arbeitsplätzen durch die Belegschaften gemeint. Dass der eigene Arbeitsplatz allzu oft nur im schärfsten Wettbewerb gegen Kolleginnen und Kollegen anderer Betriebe und Unternehmen verteidigt wird, ist allerdings keine Erfindung der Gewerkschaften, sondern der Fluch kapitalistischer Profitwirtschaft. Abhängig Beschäftigte sind in diesen Konkurrenzkampf hineingezwungen und tragen ihre Haut zu Markte, so gut sie es verstehen. An der Verhinderung einer solidarischen Praxis sind doch aus gutem Grund ganz andere Kräfte interessiert als die DGB-Gewerkschaften. In völliger Verkennung der Interessenslagen und Kräfteverhältnisse wissen sich die „marxistisch-leninistischen Kommunisten“ in der DKP vor Entrüstung über den so genannten „Reformismus“ gar nicht mehr zu halten.
Nein, wirklich: Auf dem Gebiet der Gewerkschafts- und Betriebspolitik liefert die DKP derzeit ein besonders trauriges Bild ab. Im Rechenschaftsbericht des alten Parteivorstands fehlt dieser Bereich komplett mit der lapidaren Bemerkung „wird nachgereicht“. Patrik Köbele streift die Gewerkschaftspolitik in seinem Referat mit einem merkwürdigen Exkurs zu Industrie 4.0. Dabei klärt er die Parteitagsdelegierten sogleich dahingehend auf, dass der Begriff Industrie 4.0 nichts Neues beschreibe und eher vom Wesen der Dinge ablenke. Ob sich seine Umschreibung von „Inseln, die sich … gebildet haben“ und nun „mehr und mehr in eine durchgängige Architektur der Informationstechnologie integriert werden“ oder der vollkommen unverständliche Satz „Zweitens werden dabei Grenzen zwischen Lieferanten, Produzenten, Handel und Endkunden überwunden, allerdings nicht die begleitenden Machtstrukturen“, ob sich diese Formulierungen in der „Akl.“ besser durchsetzen, werden wir ja sehen. In der anschließenden Aussprache knüpfte ein Genosse an die kryptischen Bemerkungen des Parteivorsitzenden an und forderte die DKP allen Ernstes dazu auf, jede weitere Digitalisierung zu bekämpfen. DKP also nur noch offline?
Die von der derzeitigen Parteiführung betriebene innerparteiliche Abriegelung gegen Andersdenkende, die Abschottung gegen Erfahrung und Kompetenz vieler Genossinnen und Genossen hat auch im Bereich Betriebs- und Gewerkschaftspolitik deutliche Spuren hinterlassen. Fragestellungen, die auf dem Parteitag keine Rolle spielten, sind etwa:
- Der Kurs auf Ausbau von Beteiligung und Mitbestimmung ist auf allen Gewerkschaftstagen in diesem Jahr eindrucksvoll bestätigt worden. Kolleginnen und Kollegen formulieren berechtigte Ansprüche auf mehr Gestaltungsfreiheit in ihren Lebens- und Arbeitsverhältnissen. Wie können wir diesen Schwung nutzen, um eine stärkere Mitbestimmung in den Betrieben zu realisieren? Welche Maßnahmen könnten helfen, die nach Jahrzehnten neoliberaler Umgestaltung doch auch vorhandene Resignation zu überwinden?
- Die Fragmentierung der Belegschaften und anhaltende Umstrukturierungen ganzer Unternehmenszweige und Branchen erhöhen vor dem Hintergrund einer äußerst labilen Weltwirtschaft den Konkurrenzdruck. Die zunehmende Komplexität ökonomisch-politischer Sachverhalte erschwert nicht nur das Verständnis für Zusammenhänge und Abhängigkeiten, sondern behindert gemeinsamen Widerstand gegen Arbeitsplatzabbau und Lohndumping selbst innerhalb eines Unternehmens. Welche Beiträge sind hier von Gewerkschaften und Linken zu leisten, um zu einem größeren Einverständnis über die eigene Lage zu kommen?
- Die Schockstrategien des global agierenden Kapitals haben weltweit Milliarden Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse und in Lebenslagen am Rande des Existenzminimums gezwungen. Heimatverlust und Migration sind zur prägendsten Erfahrung im frühen 21. Jahrhundert geworden. Reale Wanderbewegungen und virtuelle Datenströme im Internet machen die Arbeitskraft zu einer global und in Echtzeit gehandelten Ware. Wie können wir die in den Gewerkschaften begonnene Diskussion über den Schutz der internationalen Kernarbeitsnormen mit Beispielen einer solidarischen Praxis bereichern? Welche politischen Forderungen können linke und fortschrittliche Kräfte entwickeln – in Deutschland, in Europa, weltweit?
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Gut, dass es Genossinnen und Genossen in der DKP gibt, mit denen ich diese Fragen diskutieren kann. Gut, dass wir uns hin und wieder treffen, und damit den Denkverboten und Bekenntniszwängen etwas entgegensetzen. Die Zukunft der DKP liegt jenseits von Sektierer-Murks und Offline-Quatsch.
Isa Paape, IG-Metall Vertrauensfrau und Betriebsrätin