06.03.2018: Am Sonntag ging ein arbeitsintensiver und von tiefen Widersprüchen gekennzeichneter Parteitag der DKP zu Ende. Die Parteispitze mit dem Vorsitzenden Patrick Köbele und den beiden Stellvertreterinnen Wera Richter und Hans-Peter Brenner wurde im Amt bestätigt. Angesichts dieser Zustimmung erstaunt es, dass große Passagen des Leitantrags auf mehrheitliche Ablehnung stießen, und sich die Antragskommission im Verlauf der Debatte immer seltener gegen die Abänderungswünsche durchsetzen konnte. Der Antrag zur Internationalen Arbeit wurde von den Delegierten nach kurzer Debatte sogar mit Beschluss der Nichtbefassung von der Tagesordnung genommen. Den tiefsten Einschnitt in der Geschichte der DKP jedoch vollzogen die Delegierten mit der Bestätigung der Auflösung der Bezirksorganisation Südbayern sowie mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss gegen Genoss*innen, die im Netzwerk Kommunistische Politik diskutieren.
Nach den einleitenden Referaten von Patrick Köbele und Wera Richter hatten am Freitag die Delegierten das Wort. Lebhaft und anschaulich schilderten mehrere in Gewerkschaft und Personalräten aktive Genossinnen die Arbeitsbedingungen in der Alten- und Gesundheitspflege. Mitsprache in der Personalbemessung sei eine zentrale Forderung, die auch von der DKP zu unterstützen sei. Angesichts der wachsenden Bewegung gegen den Pflegenotstand verwies der ver.di-Sekretär Jan van Hagen auf die Notwendigkeit einer konstanten Arbeit in den Betrieben und Einrichtungen. „Wir brauchen mehr Genossinnen und Genossen im Betrieb“, und die Partei müsse helfen, diese auch entsprechend zu qualifizieren. Tina Sanders berichtete vom G20-Gipfel als „Ausnahmezustand in Hamburg“ und beschäftigte sich selbstkritisch mit dem wenig koordinierten Eingreifen der Partei in diese Auseinandersetzungen. Mit der politischen Krise des Parlamentarismus im Gefolge jahrzehntelangen neoliberalen Sozial- und Demokratieabbaus befassten sich Thomas Hagenhofer und Heinz Stehr. Mit Blick auf die GroKo-Regierung forderte Thomas, die Gewerkschaften müssten ihre Interessen wesentlich deutlicher formulieren.
Mit großer Aufmerksamkeit folgte der Parteitag dem Grußwort von Dr. Ulrich Schneider, Vorsitzender der VVN/Bund der Antifaschisten. Er nutzte die Gelegenheit, angesichts der sich verschärfenden Rechtsentwicklung für breiteste Bündnisse zu werben. „Aufstehen gegen Rassismus“ sei ein solches Bündnis, in seiner Breite sehr heterogen und politisch kompliziert, aber nichtsdestoweniger notwendig. Zuvor hatte Patrick Köbele in seinem Parteitagsreferat nochmals die Entscheidung der DKP-Spitze verteidigt, sich diesem Bündnis nicht anzuschließen. Ohne auf Patrick direkt einzugehen, äußerte Ulrich Schneider den Wunsch, auch die DKP möge diesen Aufruf unterstützen. Der Beifall der Delegierten verweist auf eine noch zu lösende Aufgabe für den neuen Parteivorstand.
Der zweite Tag war den Debatten um den Leitantrag und den Antrag zur Parteientwicklung gewidmet. Eine komplette Ablehnung des Leitantrags, wie sie aus unterschiedlichen Motiven gefordert wurde, lehnte die Antragskommission ab. Ihrer Empfehlung, stattdessen den Parteivorstand zu beauftragen, die Diskussion zu strategischen und programmatischen Fragen fortzusetzen, folgten die Delegierten mehrheitlich. Im weiteren Verlauf kam es schon bei der Darstellung der Rolle des Staates oder bei der Bewertung des Bewusstseinsstands der Arbeiterklasse zu sehr knappen Abstimmungsergebnissen. Mit der Diskussion um den Dortmunder Antrag aber verlor die Antragskommission zusehends an Boden. Tatsächlich hatte die Gruppe Dortmund Nord den Leitantrag nahezu komplett neu geschrieben, ihn in vielen Teilen wesentlich präzisiert und durch den konkreten Gegenwartsbezug auf das „neoliberale Modell“ auch Fehleinschätzungen korrigiert und grobe Lücken gefüllt. Da die Dortmunder aber nicht in den Verdacht geraten wollten, einen „Gegenantrag“ geschrieben zu haben, hatten sie den ursprünglich kompletten Text in mehrere Teilstücke zerlegt und diese dem Parteitag vorgelegt. Trotz Zerstückelung erhielten sie schon mit dem ersten Antrag die Zustimmung der Delegierten gegen die Empfehlung der Antragskommission.
Die Rolle der Gewerkschaften wurde in mehreren Anträgen mal auf Grundlage des Parteiprogramms gültiger beschrieben, mal in einseitiger Überzeichnung der sozialpartnerschaftlichen Aspekte unzutreffender – häufig aber gegen die Empfehlungen der Antragskommission. Niederlage nach Niederlage kassierte die Antragskommission dann bei den Änderungswünschen zu internationalen Fragen. Insbesondere die Subsummierung unterschiedlichster Staaten, die in ihrer Geschichte Phasen antiimperialistischen Befreiungskampfes bis hin zu Umwälzungen mit dem Ziel sozialistischer Entwicklung aufweisen, unter der Rubrik „kommunistisch regiert“ wurde von der großen Mehrheit der Delegierten nicht akzeptiert.
Die Diskussion um den Antrag des Parteivorstands zur Auflösung der Bezirksorganisation Südbayern wurde eingeleitet von einer Genossin des Münchner Betriebsaktivs, die das Bild eines mächtigen Münchner Kreisvorstands zeichnete, der die redlichen Genoss*innen des Betriebsaktivs unterdrückte und an der Arbeit hinderte. Frei von politischen Inhalten zielte die Rede offenbar auf eine Emotionalisierung des Parteitags, die ein nüchternes Urteil so wenig erlauben sollte wie ein Hinterfragen des dargestellten Täter-Opfer-Schemas. Da in Südbayern große Teile der Mitgliedschaft wegen politischer Differenzen und der Auflösung ihrer Bezirksorganisation die Partei bereits verlassen haben, konnte die Einseitigkeit der Darstellung nicht behoben werden. Bei 30 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen wurde eine einst bedeutende Gliederung der DKP aufgelöst, ohne dass eine Perspektive auf Rückgewinnung der demokratischen Rechte für die südbayerischen Genoss*innen auch nur in Aussicht gestellt wurde.
Wie ein Fels in der Brandung wirkte die Genossin Christine Christofsky, seit 1949 Mitglied der KPD, später der DKP, die von ihrem ersten Parteitag 1953 und von den dortigen heftigen Auseinandersetzungen berichtete. Ihre Warnung vor Ausgrenzung und Verlust vieler erfahrener Genossinnen und Genossen, ihre Ablehnung des Unvereinbarkeitsbeschlusses sorgte hier und da doch für Nachdenklichkeit. Eine ganze Reihe von Genossinnen und Genossen traten in der Debatte mit ihren Erfahrungen für eine weitere gemeinsame Diskussion der unterschiedlichen politischen Positionen auf. Dem Antrag des Parteivorstands auf Unvereinbarkeit der Netzwerker mit der DKP folgten am Ende nur zwei Drittel des Parteitags bei 42 Gegenstimmen und 8 Enthaltungen.
Beide Beschlüsse stellen einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der neueren kommunistischen Bewegung in Deutschland dar. Antidemokratisch und auf Eskalation der Parteiauseinandersetzung angelegt befördern sie administrative Entscheidungen und Willkür im Umgang mit Minderheiten. Spürbar veränderte die Beschlusslage die Atmosphäre im Saal, eine leise Niedergeschlagenheit, ratlose Blicke, wenige mahnende Stimmen einerseits und die jeden politischen Gedankens bare auftrumpfende Stimme der vermeintlichen Sieger standen sich in der folgenden Personaldebatte gegenüber – um Politik ging es ab jetzt nicht mehr.
Der alte Parteivorstand hatte noch am Abend des ersten Tags des Parteitags die Vorschlagsliste für den neuen Parteivorstand „überarbeitet“. Mit der Streichung des saarländischen Bezirksvorsitzenden Thomas Hagenhofer wurde das Signal zur Abrechnung mit den Netzwerkern gegeben. Weder Tagungsleitung noch Parteiführung schritten ein, als nun die inquisitorische Fragerunde begann, die sich gegen die Kandidat*innen Uwe Fritsch, Thomas Hagenhofer und Isa Paape richtete. „Der gesamte Bezirk Saarland wird seit über sieben Jahren aus dem Parteivorstand ausgegrenzt. Für mich ist heute die Grenze des Erträglichen überschritten“, so Thomas Hagenhofer, der seine Kandidatur zurückzog und mit der gesamten saarländischen Delegation den Parteitag verließ. Isa Paape erhielt nicht die erforderliche Mindestanzahl von 50 % der Stimmen, Uwe Fritsch erhielt mit 85 Stimmen das schlechteste Ergebnis seiner Amtszeit.
Mag es auch einer relevanten Mehrheit der Delegierten so erscheinen, als wäre ein entscheidender Schlag gegen die Netzwerker gelungen, so hat in Wirklichkeit nicht nur die innerparteiliche Demokratie schweren Schaden genommen. Die von allen Seiten angestrebte Orientierung auf die Arbeiterklasse und die Überwindung der schwachen Verankerung in Betrieben und Gewerkschaften droht mit dieser Entscheidung zur bloßen Phrase zu verkommen. Es fehlt an einer konkreten Analyse ihrer Zusammensetzung, ihrer Lage, ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen. Mit Blick auf die notwendige Veränderung der Kräfteverhältnisse fehlt auch die Bestimmung des Teils der Klasse, der für diese Veränderung der entscheidende sein wird, weil in den Großbetrieben der materiellen Produktion beschäftigt und immer noch am besten organisiert. Es fehlt eine Einordnung derjenigen Beschäftigten, die im Wissenschaftsbereich an der Nahtstelle zwischen Digitalisierung und materieller Produktion arbeiten. Kurz, es existiert weder ein Begriff der Klasse noch eine strategische Orientierung, die diese Klasse ernst nähme.
Thomas Hagenhofer arbeitet als Informationswissenschaftler im Umfeld jener industriell geprägten peripheren Zone der Produktion. Isa Paape ist als Vertrauensfrau und Betriebsrätin in einem Großbetrieb des Energieanlagenbaus beschäftigt. Und Uwe Fritsch ist Betriebsratsvorsitzender eines großen Werks in der Automobilbranche. Dass die DKP glaubt, ohne diese Kommunist*innen besser auszukommen, hängt mit der fehlenden Strategie zusammen. Dass erfreulicherweise Genossinnen neu im Parteivorstand sind, die aus der gewerkschaftlichen Bewegung für Personalbemessung in der Pflege kommen, reflektiert ebendiese Bewegung und die Bedeutung des Themas Arbeitszeit. Dieser Reflex auf neue Anforderungen in den Dienstleistungsbereichen ersetzt aber keinesfalls eine Strategie zur Veränderung der Kräfteverhältnisse mit Fokus auf die Industriearbeiterschaft in den Großbetrieben der materiellen Produktion. Für diese Aufgabe einer kommunistischen Partei ist der neue Parteivorstand denkbar schlecht ausgestattet.
Eine stärkere und politisch handlungsfähigere DKP wird dringender denn je gebraucht. Das wissen die „alten Hasen“ der Bewegung, das wissen die betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertreter*innen sehr gut. Es ist dieses kommunistische Bewusstsein, das Detlef Fricke aus Niedersachsen zu einer persönlichen Erklärung an das Saal-Mikrofon führte: „Ich bleibe in der DKP!“
Isa Paape, Erlangen