Brief zur Bildungszeitung von Leserinnen und Lesern an die UZ

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Überrascht und bestürzt waren wir, als wir in diesen Tagen die Bildungszeitung zum „Reaktionären Staatsumbau“ in Händen hielten. Warum?

Der tonangebende bayerische „Verfassungsschutz“ sagt in seinem gegen alle Linken gerichteten Angriff auf die VVN-BdA, dass sie „alle nicht-marxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt“. Die VVN-BdA und mit ihr solidarische Linke antworteten: Nein, die Demokratie des Grundgesetzes muss primär verteidigt werden. Die Definition des „kommunistischen Antifaschismus“ durch den VS wird von keinem Linken geteilt.

Aber die Bildungszeitung stimmt unserem Gegner indirekt zu. So etwas können wir nicht gebrauchen.

In Ziegenhals, auf der letzten KPD-ZK-Tagung im Februar 1933, sagte Ernst Thälmann erstmals: Hitler-Papen zu stürzen, das sei das wichtigste; der Kampf gegen Hitler sei nicht mit dem Sieg der proletarischen Revolution verbunden. Aber immer war da noch der Glaube, dass auch der Kampf um die volle Macht des Proletariats unmittelbar anzustreben wäre. Erst im Februar 1933 sagt Thälmann im illegalen Flugblatt: Kampf für die Reste der demokratischen Freiheiten.

Warum erinnern wir daran? Weil in der Bildungszeitung der Vorrang des Kampfes gegen das Kapital gegenüber dem Kampf um die Demokratie und gegen den Faschismus gepredigt wird. Sie predigt die revolutionäre Ungeduld. Kampf um Demokratie sei Opportunismus und bloße Verteidigung des kleineren Übels. Denn die bürgerlich-demokratische Mitte und die Faschisten hätten letztlich die gleichen Ziele. Also halten wir uns nicht mit dem demokratischen Kampf auf?

Mit dem Friedenskampf befasst sich die Bildungszeitung gleich gar nicht, das wird gleich am Anfang mitgeteilt. Kann man über den „reaktionären Staatsumbau“ philosophieren, ohne über die Kriegsvorbereitung im Lande zu reden? Nach allem, was der deutsche Faschismus und Militarismus angerichtet hat mit den 60 Millionen Toten, da soll man über die Rechtsentwicklung sprechen können, ohne daran zu erinnern?

Liebe Genossinnen und Genossen, bitte macht eine neue Bildungszeitung – eine, die sich nicht konträr zu allem befindet, was KPD und DKP seit 1945 zum demokratischen Kampf aussagten, ja auch was für die KPD und die internationale Arbeiterbewegung seit 1933 die grausame Lehre der Geschichte bedeutete.

Unterzeichner/innen:

Peter Badekow, Norbert Birkwald, Wolfgang Dominik, Bruni Freyeisen, Willi Gerns, Dieter Keller, Dietmar Kompa, Artur Moses, Detlef Peikert, Ulrich Sander, Hans E. Schmitt-Lermann, Klaus Stein, Bernhard Trautvetter, Peter Trinogga, Georg Polikeit

 

Zusätzliche Anmerkungen

 

Ich habe dazu einige zusätzliche Anmerkungen verfasst, die mir beim Lesen des „Bildungsheftes“ durch den Kopf gingen und meinen Widerspruch zu diesem Heft weiter begründen:

 Da ist zum Beispiel anzumerken, dass eine marxistische Haltung zur Demokratie noch ältere Wurzeln als den VII. Weltkongress der KI und die Programmatik der KPD und DKP nach 1945 geltend machen kann. Schon Marx und Engels befürworteten den Kampf der Arbeiterbewegung für eine demokratische Republik, für das allgemeine Wahlrecht und andere demokratische Freiheitsrechte auch in Zeiten der Herrschaft der Bourgeoisie. Sie betrachteten die bürgerliche Demokratie als die beste Staatsform, auf deren Boden der Kampf um die Überwindung des Kapitalismus durch eine solidarische sozialistische Gesellschaft stattfinden kann. Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, Meinungs-, Versammlungs-, Demonstrationsfreiheit, Koalitions- und Streikrecht sind überhaupt in erster Linie dem Kampf der Arbeiterbewegung gegen Monarchie und feudal-militaristischen Obrigkeitsstaat zu verdanken. Auch Lenin war der Meinung: „Die demokratische Republik und das allgemeine Wahlrecht waren im Vergleich mit dem Leibeigenschaftssystem ein gewaltiger Fortschritt… Ohne Parlamentarismus, ohne -Wahlrecht wäre diese Entwicklung der Arbeiterklasse unmöglich gewesen („Über den Staat“, Juli 1916, Werke Bd. 29).

 Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang auch Max Reimanns Wort im Parlamentarischen Rat, dass die Kommunisten diejenigen sein werden, die die demokratischer Grundsätze und Freiheitsrechte des soeben beschlossenen Grundgesetzes gegen die Angriffe aus der herrschenden Klasse verteidigen werden.

Eine solche historisch-materialistische Betrachtungsweise des Themas mit entsprechenden Erwähnung der positiven Aspekte der bürgerlichen Demokratie für die Entwicklung und den Kampf der Arbeiterbewegung hatte in dem "Bildungsheft" aber keinen Platz, weil dies nicht in das vorgefasste ideologische Gesamtkonzept der Autoren passt.

Für mich ist dieses Heft nach seiner Gesamtanlage und nach seinen inhaltlichen Aussagen Ausfluss einer offenbar tief sitzenden und auch altbekannten sektiererhaften K?Gruppen-Mentalität. Neu ist nur, dass diese Ideologie jetzt in einem offiziellen Material des Parteivorstands der DKP verbreitet wird.

Schon der Satz "Faschismus kommt nicht von den Faschisten" ist in dieser Form einfach falsch. Die Wahrheit ist: es gibt keinen Faschismus ohne Faschisten.

Faschisten sind nicht nur das "Fußvolk", das den faschistischen Parolen nachläuft. Faschisten sind natürlich auch jene Teile der ökonomisch und politisch herrschenden Klasse, die faschistische Bewegungen fördern, faschistische Ideologien verbreiten und faschistische Herrschaftsformen einführen wollen. Es darf gerade heute nicht übersehen werden: Der Faschismus war überall nicht nur terroristische Diktatur, sondern auch das Bemühen um eine möglichst große Massenbasis und Verankerung in der Bevölkerung durch verschiedenen Varianten nationalistischer, die eigene Nation in eine Führungsrolle gegenüber anderen überhöhender, sozialdemagogischer, fremdenfeindlicher und rassistischer Ideologie. Ohne dies hätte er wohl nirgendwo an die Macht kommen, sich zumindest nicht lange halten können. Aber auch dieser Aspekt passte nicht in das vorgefasste ideologische Konzept der Autoren. Deshalb findet er im Bildungsheft keine Erwähnung und wird statt dessen verkündet, dass Faschismus nicht von den Faschisten kommt.

Aber seine Berücksichtigung ist gerade heute besonders wichtig, weil dies für die Bestimmung unserer heutigen politischen Aufgaben wichtig ist. Denn damit wird begründet, warum dazu der politische und ideologische Kampf gegen die ideologische Rechtsentwicklung im Denken erheblicher Teile der Bevölkerung gehört, die in der bedrohlichen Zunahme von Stimmen für die AfD und anderer reaktionärer rechtsextremer Stimmungen sichtbar wird.

Doch statt die konkreten heutigen Entwicklungen zu behandeln, die die Rechtsentwicklung in unserem Land mit der Tendenz zum reaktionären Staatsumbau, mit der Missachtung und Einschränkung demokratischer Rechte und Freiheiten, mit einer zunehmenden Praxis autoritärer Methoden der Machtausübung kennzeichnet, begnügen sich die Autoren mit einer abstrakt-theoretischen und noch dazu falschen Ableitung der Tendenz zum reaktionären Staatsumbau aus Lenins Imperialismus-Theorie. Dabei wird nahegelegt, dass die von Lenin festgestellte Tendenz zur "politischen Reaktion" im Imperialismus mit der Tendenz zum Faschismus synonym sei, dass die bürgerliche Demokratie dem Zeitalter des Kapitalismus der freien Konkurrenz entspricht, aber für den Imperialismus der Faschismus die gewissermaßen "gesetzmäßige" Staatsform sei (weil die bisherige Methode der Integration der Arbeiterklasse und anderer Bevölkerungskreise in das herrschende System nicht mehr funktioniert).

Das widerspricht natürlich der politischen Realität von heute. Denn die heute bestehenden imperialistischen Staaten einschließlich der BRD (und auch der USA) sind eben keine (oder noch keine) faschistischen Staaten, sondern bürgerlich-demokratisch organisierte Staatsformen, wenn auch mit einer unverkennbaren Tendenz zum Abbau und zur Einschränkung der Demokratie.

Und auch die Integration großer Teile der Bevölkerung in des bestehende System funktioniert auch im imperialistischen Zeitalter vielerorts noch verhältnismäßig gut, sodass für die herrschende Klasse gar keine Notwendigkeit besteht, tatsächlich eine faschistische Diktatur zu errichten.

Die im „Bildungsheft“ entwickelte These über den gesetzmäßigen Zusammenhang von imperialistischer Expansionspolitik und reaktionärem Staatsumbau in Richtung Faschismus steht auch im Gegensatz zu der aus den historischen Erfahrungen sich ergebenden marxistischen Erkenntnis. dass der Faschismus auch im Zeitalter des Imperialismus keineswegs unvermeidbar ist, sondern von der Entwicklung der politischen Kräfteverhältnisse abhängt und deshalb durch Massenaktionen der Arbeiterklasse und mit ihr verbündeter anderer demokratischer Kräfte verhindert werden kann (wie z.B. die französische Volksfront zeigt).

Der Grundansatz des "Bildungsheftes" ist die These, dass reaktionärer Staatsumbau und in seiner Konsequenz eine faschistische Staatsordnung nur verhindert werden können durch die Überwindung des Kapitalismus/Imperialismus überhaupt. Das ist eine linksradikale Orientierung, die angesichts der heutigen konkreten Kräfteverhältnisse keinerlei Basis in der Praxis der politischen Auseinandersetzungen von heute hat und daher in die Irre führt. Eigentlich dient diese These nur der eigenen ultralinken Selbstbefriedigung mit verbal-radikalen Parolen, die aber in Wirklichkeit politisch völlig folgenlos bleiben.

Ganz in diesem Stil verzichtet das "Bildungsheft" dann auch darauf, die aktuellen Aufgaben des Kampfes zur Verteidigung der Demokratie und des Grundgesetzes in den Mittelpunkt der Schlussfolgerungen zu stellen, die sich auch der konkreten Analyse der heutigen Rechtsentwicklung ergeben. Eben deshalb ist dieses "Bildungsheft" für den heutigen politischen Kampf der Kommunisten und überhaupt aller antifaschistisch-demokratischen Kräfte völlig ungeeignet.

Georg Polikeit

 

 

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