einheiztext: 55 Jahre Gastarbeiter – eine Laudatio

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Sehr geehrter Herr Unternehmenseigentümer Dr. Finck,
sehr geehrter Herr Betriebsleiter Dr. Hübner,
lieber Luidschi,


hiermit freuen wir uns, dass Du seit über fünfzig Jahren zu uns gehörst. Zwar nicht zu unserer Belegschaft, aber auf jeden Fall zu unserem Firmeneigentum und zwar lebenslänglich, wie Du auf Deinem Arbeitsvertrag damals unterschrieben hast.
Obwohl wir immer feststellen, dass Du noch einigermaßen für das Firmenkapital erträglich bist, und obgleich Du erst 73 Jahre alt bist, müssen wir uns dennoch von Dir in absehbarer Zeit trennen.
Eine Rente kriegst Du sowieso nicht, weil Du ja nur ein Gastarbeiter bist. Und ein Gastarbeiter hat hierzulande ja keine Rechtsansprüche, wie wir Dir am Anfang gleich gesagt haben.
Wir haben Dich damals, als Du hergekommen bist, nämlich ebenso wenig wie den Ricardo und alle anderen sozialversicherungspflichtig angemeldet, weil ja das unseren Betrieb viel zu teuer gekommen wäre. Und somit bist Du nur immer in der Bestandsliste unserer Bilanzen geführt worden und nicht bei den Personalkosten. Inzwischen gehörst Du allerdings mehr zu den Passiva, weil Du mit Deiner Schwerbehinderung nur noch in der Ecke vom Lager stehst, wie unser Betriebsin-genieur seit langem beobachtet.
Aber all das wollten wir Dir gar nicht so genau sagen, weil ja heute ein ganz besonderer Tag ist, nämlich der fünfundfünzigste Geburtstag des Gastarbeiters in Deutschland, und darum ist auch das Fernsehen da, deren Herren ich hiermit begrüße!
Leider kannst Du und alle anderen Itacker, ääähh Italiener ja immer noch kein Deutsch nicht, und schreiben könnt ihr glaube ich bis heute auch nicht. Aber dafür Schafkopfen bis über die Mittagspause hinaus, was mich sehr ärgert!
Dass der Emilio schon so bald gestorben ist, war ein schwerer Verlust für die Firma, weil er im Unterschied zu Dir viel mehr gearbeitet hat. Und er hat auch gar nicht gemerkt, dass wir ihm immer aus Versehen zu wenig Lohn gezahlt haben.
Ja, jedenfalls kriegst Du jetzt zum Jahrestag des Gastarbeiters eine Urkunde, die halten wir hier einmal kurz in die Kamera – und du darfst sie ruhig in Deiner Baracke aufhängen
Also weiterhin auf gute Zusammenarbeit!

Dein Betriebsmeister Horst Weber