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Einführung zum Meinungsaustausch des Netzwerks zu Corona/Zero Covid

Am 27.03.21 führte das Netzwerk kommunsitische Politik einen Meinungsaustausch zur Pandemie und zur Initiative Zero Covid (www.zero-covid.org) als Videokonferenz durch. Hier veröffentlichen wir den Eröffnungsbeitrag von Thomas Hagenhofer.

Liebe Genossinnen und Genossen,

da hat der ideele Gesamtkapitalist am Montag mal kurzzeitig gewackelt und wollte doch tatsächlich den Konzernen sage und schreibe zwei Arbeitstage der Mehrwertproduktion entziehen – zugunsten der Pandemiebekämpfung. Trotz dieser völlig unzureichenden und dazu noch unausgegorenen Maßnahmen, die eher als Symbolpolitik beschrieben werden kann, wurde von den wirtschaftlich Mächtigen das große Besteck rausgeholt und am nächsten Tag machte die Kanzlerin kleinlaut den Rückzieher von der Osterruhe. Es wäre das erste kleine Opfer gewesen, das man dem Monopolkapital abverlangt hätte. Man könnte die letzten Monate zusammenfassen in: Kapitalistische und private Profitmacherei gepaart mit staatlichem Unvermögen.

Seit über einem Jahr erleben wir nun das unzureichende Management der Corona-Krise in Deutschland und Europa. Das vorrangige Ziel der Herrschenden ist nicht, Leben und Gesundheit zu schützen, sondern möglichst günstige Bedingungen für die Kapitalverwertung insbesondere der Großkonzerne aufrecht zu erhalten. Mehr als deutlich haben das die Äußerungen von Spitzenpolitiker*innen und Sprecher*innen von Unternehmensverbänden in den letzten Monaten zum Ausdruck gebracht.

Und sie waren ja auch erfolgreich. Die Aktienkurse sind im Höhenflug, während immer mehr von uns die sozialen Folgen von Dauerkurzarbeit, geschlossenen Schulen, Läden, Veranstaltungsräumen und Gastronomieunternehmen zu spüren bekommen. In den meisten Industrieunternehmen brummt es wieder, während den Menschen eingeredet wird, nur das Verhalten im Privaten, in der Freizeit wäre am Infektionsgeschehen schuld – Hauptsache die Mehrwertproduktion läuft ungemindert weiter.

Und natürlich steigt die Zahl derer, die den einjährigen Jo-Jo-Lockdown nicht mehr mitmachen wollen, viele sogar können. So wie in Ländern wie Chile gilt auch bei uns in gemilderter Form: Die Arbeiterklasse ist am stärksten von der Pandemie betroffen – sie muss wieder einmal die meisten Opfer bringen – gesundheitlich und im Einkommen. Aus einer Anfrage der LINKEN geht hervor, dass Leiharbeiter/innen überproportional von Infektionen betroffen sind. Die Arbeiterklasse wird auch am meisten an den Folgen des forcierten Demokratieabbaus zu leiden haben.

Und wiedermal heißt es: Die Pandemiebekämpfung der Bundesregierung sei alternativlos. Und ja: Es gibt sie natürlich, die Staaten, in denen es noch schlechter läuft und das Virus nahezu ungehemmt wütet – z. B. in Brasilien und manchen afrikanischen Ländern. Oder Staaten wie Schweden, die einen noch radikaleren neoliberalen Kurs gefahren sind. Aber es gibt auch Beispiele, insbesondere in Asien und Ozeanien, die mit wesentlich weniger Schäden durch die Pandemie gekommen sind. Erinnert sei in dem Zusammenhang an die Überheblichkeit zu Beginn der Pandemie gegenüber dem Tragen von Masken. Da wurden jahrzehntelange Erfahrungen asiatischer Länder mit europäischer Hybris weggewischt. Da sind so unterschiedliche Länder dabei wie China, Vietnam, Taiwan, Südkorea, Australien und Neuseeland. Selbiges gilt für Cuba, das ja traditionell für seinen hohen Gesundheitsschutz steht. Dort wurden, wenn auch in Details unterschiedlich, Zero Covid-, Null-Covid-Konzepte umgesetzt. Und die Logik versteht sich eigentlich von selbst: Wenn es eine hochansteckende, gefährliche Krankheit gibt, gegen die es bislang weder eine für alle verfügbare Impfung gibt, noch wirksame Medikamente, dann muss alles versucht werden, um die Bevölkerung vor Ansteckung zu schützen. Dies geht bekanntlich nur mit einem kompletten Lockdown für mehrere Wochen, unter Ausklammerung der lebensnotwendigen Bereiche. Danach greifen dann Massentests und strikte Nachverfolgung jeder neuen Ansteckung mit entsprechenden Quarantänemaßnahmen bis zur Abriegelung von Regionen, Stadtteilen oder Städten.

Der Jo-Jo-Lockdown in Europa dagegen spielt mit dem Leben und der Gesundheit der Menschen. Gradmesser ist in Wahrheit schon lange die Auslastung des Gesundheitssystems. Nur wegen der Gefahr des Kollapses der Gesundheitsversorgung wird runtergefahren, nicht wegen der Opferzahlen. Es ist so, als würde man die Gurtpflicht abhängig machen von der Anzahl der Verkehrstoten.

In ihren Beitrag in Analyse + Kritik „Die Pandemie besiegen“ schreiben Verena Kreilinger und Christian Zeller von Zero Covid (https://www.akweb.de/politik/zerocovid-mit-einem-solidarischen-shutdown-die-corona-pandemie-besiegen/):

„Den wirtschaftlichen Interessen entsprechend, hangelt sich die Corona-Politik vieler Länder faktisch immer entlang des Infektionsgeschehens, um dieses gerade noch so unter Kontrolle zu halten – oder eben auch nicht. Die Regierungen zwingen die Menschen durch immer neue Lockdowns. Setzt sich die britische Mutation des Virus großräumig durch, verschärft sich die Situation noch mal dramatisch. Und je mehr Menschen sich infizieren, desto wahrscheinlicher werden weitere Mutationen.

Die Regierungen setzen nun ihre ganze Hoffnung auf eine umfassende Durchimpfung der Bevölkerung. Viele Linke folgen ihnen hierin. Dieser Ansatz ist auf Sand gebaut. Erstens reichen die Impfstoffe bei Weitem nicht aus, um die Menschen genügend schnell zu impfen. Zweitens zeigen sich in der Konkurrenz um die Zuteilung der Impfstoffe die ganz banalen geopolitischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse. Die abhängigen und armen Länder werden nur einen Bruchteil ihrer Bevölkerung impfen können. Das heißt, das Virus wird weiter zirkulieren und mutieren. Die Impfkampagnen werden nicht verhindern, dass in den nächsten Monaten abermals Hundertausende von Menschen sterben werden. Die auch von Linken unbedacht daher gesagte Devise »mit dem Virus leben lernen« wird nicht funktionieren.“

Das Aberwitzige an der jetzigen Situation ist zudem, dass der Zero-Covid-Ansatz offenbar auch noch ökonomisch sinnvoller ist als der in Europa eingeschlagene Weg. In den vorhin erwähnten Staaten können die Einschränkungen nach einem kurzen, konsequenten Lockdown schnell aufgehoben werden. In Wahrheit schauen die europäischen Wirtschaftsbosse neidisch nach Asien. China wird gestärkt aus der Pandemie hervorgehen. Das Großkapital bekämpft die Zero-Covid-Ansätze trotzdem, weil sie einen ungeheuren Horror vor Einschränkungen in ihre Verfügungsgewalt haben. Die Pandemie soll neoliberal gelöst werden, ihre Bekämpfung darf kein Beispiel werden für eine andere solidarische Politik, die dem freien Unternehmertum in den Konzernen Fesseln anlegt. Die Gefahr des Nachahmungseffektes wäre zu groß. Die unter der Dauerschließung extrem leidenden Kleinunternehmen im Einzelhandel, der Gastronomie und Kultur sind ihnen offensichtlich scheißegal. Auch hier zeigt sich, dass die herrschende Politik die des ökonomisch mächtigen Monopolkapitals ist. Zero Covid ist auch eine Plattform, um klassenübergreifend die Interessen der nicht-monopolistischen Klassen und Schichten in der Pandemie gegen die Ignoranz des großen Kapitals durchzusetzen.

Aber nicht jede Zero-Covid-Maßnahme ist solidarisch und demokratisch. Deshalb wird im Aufruf die europaweite Runter-auf-Null-Strategie ergänzt durch vier wichtige Forderungen:

  • Finanzielle Absicherung aller Menschen und Ausweitung der Mitbestimmung in den Betrieben
  • Ausbau der sozialen Gesundheitsinfrastruktur mit höheren Löhnen, mehr Personal und Rücknahme der Privatisierungen
  • Impfstoffe müssen globales Gemeingut werden
  • Solidarische Finanzierung der Krisenlasten durch eine europaweite Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen.

Der Aufruf wehrt sich zurecht gegen den oftmals angeführten Gegensatz von Pandemiebekämpfung und Verteidigung demokratischer Rechte. Zurecht steht dort: „Demokratie ohne Gesundheitsschutz ist sinnlos und zynisch. Gesundheitsschutz ohne Demokratie führt in den autoritären Staat.“

Und Zero Covid ist auch eine Antwort auf die zurecht gestellten Fragen nach den Kollateralschäden des fortwährenden Jo-Jo-Lockdowns. Die extrem wachsende Bildungsbenachteiligung, die existenzbedrohten Künstler/innen, kleinen Unternehmen und Selbständigen, die Zunahme psychischer Erkrankungen, Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen sowie die Zunahme häuslicher Gewalt – all dies wäre mit einer Zero-Covid-Strategie zu einem sehr großen Teil vermeidbar gewesen.

Wie in der Finanzkrise verschläft ein großer Teil der Linken in Deutschland die Chance, diesen offensichtlich antikapitalistischen und antimonopolistischen Ansatz zu unterstützen und sich in der Krise zu stärken. Die Partei Die Linke, aber auch andere Organisationen wie attac und auch die DKP sind völlig gespalten. Viele wollen einzig und allein dagegen angehen, dass das Kapital die Krise logischer Weise rücksichtslos für ihre Interessen missbraucht. Sie erkennen nicht die Tragweite von Pandemien als neue Form von Krisen im Kapitalismus. Sie entstehen vermehrt durch den kapitalismusimmanenten Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen und verbreiten sich durch die dynamisierte Globalisierung. Sie können aufgrund des neoliberal zugrunde gerichteten Gesundheitswesens nur schwer eingedämmt werden. In dem Zusammenhang sei auch auf die Opfer aufgrund der Personalnot in den Krankenhäusern in Normalzeiten hingewiesen, die jährlich in die Tausende gehen.

Pandemien könnten aber auch ein Sargnagel für den Neoliberalismus werden, weil gesellschaftliche und staatliche Antworten auf diese Bedrohungen jenseits der Ideologie des Individualismus und der Marktwirtschaft nicht nur objektiv notwendig sind sondern auch deutlicher eingefordert werden. Die Losung „Privat vor Staat“ konnte nach der Finanzkrise nochmal über die Runden gerettet werden. Es liegt an uns, an den linken und sozialen Bewegungen, den Gewerkschaften, ob sie die Pandemie nochmals unbeschadet übersteht. Die Herrschenden arbeiten erkennbar daran. Die FDP wird hochgepäppelt. Zero Covid wird als totalitär abgestempelt, weil alles, was ihrem Kapitalinteresse entgegenläuft, so einsortiert wird – ob Mietpreisbremse oder Rüstungskonversion. Für mich ist das auch eine mentale Vorbereitung im Sinne von Abstumpfung auf neue große Kriege. Wir sollen uns schon mal an die Todeszahlen gewöhnen – Opfer müssen gebracht werden – heute für die ungehinderte Kapitalakkumulation im Land während einer Pandemie und morgen für die Interessen des Kapitals weltweit.

Im Saarland hat sich im Dezember ein Personenbündnis Corona – solidarisch gegründet und eine erste Aktion vor der Staatskanzlei durchgeführt. Wir haben uns nun als regionales Zero-Covid-Bündnis der bundesweiten Kampagne angeschlossen. In diesem Bündnis sehen wir auch eine Keimzelle, um den Widerstand gegen die Abwälzungen der Krisenlasten auf die arbeitenden und von Arbeit ausgegrenzten Menschen zu entwickeln. Wir wollen keine Opfer der Pandemie werden – weder gesundheitlich noch materiell. Für diese Krise muss das Kapital herangezogen werden. Dafür müssen wir bereits in der Pandemie Widerstand entwickeln. Gute Argumente dafür liefert das gerade erschienene Heft der Marxistischen Blätter „Der Verteilungskampf – Wer soll für die Krise zahlen?“.

Liebe Genossinnen und Genossen,

der Genosse Artur Moses hat jüngst auf ein Dilemma gerade von revolutionären Kräften in der Pandemie hingewiesen. Wir sind gepolt darauf, jeder herrschenden Politik, den Maßnahmen der Regierenden zu misstrauen – aus gutem Grund. Und so gibt es auch unter uns eine gewisse Bereitschaft, sich auf eine Sichtweise der Pandemie als „Inszenierung“ der Herrschenden oder als „Notstandsübung“ festzulegen. Wie oben beschrieben sollten wir aber unterscheiden zwischen den objektiven Herausforderungen einer Pandemie, wie sie global für alle Staaten gilt und der Bearbeitung der Pandemie in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der die Kräfteverhältnisse im Klassenkampf bestimmen, welche Lösungen sich durchsetzen. Wie in der Klimapolitik darf diese Frontstellung nicht dazu führen, dass wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse ignorieren und die Gefahr der Pandemie kleinreden. Gerade wir Kommunist*innen stehen seit Anbeginn für die enge Verbindung von Wissenschaft und Politik, für die Einbeziehung der jeweils neusten Errungenschaften in unsere Politikentwicklung und gleichzeitig für die planmäßige Entwicklung der Produktivkräfte in einer neuen Gesellschaft. Wenn also das von der Blockade betroffene Cuba immense Ressourcen einsetzt, um gleich mehrere Impfstoffe gegen das Virus zu entwickeln. Wenn es sich zum Ziel setzt, so schnell wie möglich 100 Millionen Impfdosen zu produzieren, sollten wir wissen, was die Stunde geschlagen hat.

Kommunisten müssen konsequent die Gefahren der Pandemie benennen und gegen Verschwörungsideologien auftreten, weil wir unsere Politik auf den jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand beziehen, uns darauf stützen und damit Zusammenhänge weitgehend aufklären können. Das ist ein aktueller Beitrag gegen die Versuche, die Achse weiter nach rechts zu drehen. Dazu gehören natürlich auch die Skepsis und der Zweifel gegenüber den Darstellungen und Methoden der Herrschenden und die kritische Auseinandersetzung damit.

Wegen der Gefährlichkeit der Pandemie, ihrer globalen Ausbreitung mit ihrer hohen Ansteckungsgefahr sind Relativierungen, egal welcher Art, fehl am Platze

Verena Kreilinger und Christian Zeller setzen ihren vorhin zitierten Beitrag wie folgt fort:

„Hinter dem Unverständnis und der Relativierung der Pandemie steht ein grundsätzliches Problem. Das Virus verbreitet und mutiert sich gemäß Naturgesetzen. Das Virus lässt nicht mit sich verhandeln. Wir können seine Wirkungen nicht abwägen oder kleinreden, sondern nur akzeptieren und die erforderlichen solidarischen Schlüsse daraus ziehen. Im Fall der Erderhitzung wagt kaum noch jemand, die Prozesse zu leugnen. Auch das Erdsystem lässt nicht mit sich verhandeln. Die Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre bewirkt den Treibhauseffekt. Wenn wir die Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit nicht auf 1,5 Grad Celsius begrenzen, überschreitet das Erdsystem mit hoher Wahrscheinlichkeit Kipppunkte, die eine unkontrollierbare Eigendynamik auslösen.

Das heißt, es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Gesetze der Natur anzunehmen, sofern wir sie überhaupt einigermaßen verstanden haben. Hingegen können wir sehr wohl gestalten und entscheiden, wie die Gesellschaft mit der Virusausbreitung und der Erderhitzung umgehen soll. Die Einsicht, Prozesse der Natur zu respektieren und einen rationalen Umgang mit ihnen zu pflegen, hat sich im Fall der Covid-19-Pandemie leider noch nicht durchgesetzt.“

Bleibt am Ende noch die Kritik an Zero-Covid, dass die Forderungen unrealistisch seien und im Kapitalismus nicht umsetzbar. Ja, Zero-Covid stellt die Kapitallogik infrage. Aber das tun wir in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen, wir müssen es sogar: in der Friedens- und Rüstungsfrage, in der Klimabewegung, in der Auseinandersetzung um Gesundheit und Pflege, in Fragen der Mitbestimmung und Gegenmachtstrategien von Gewerkschaften. Es war doch immer das Kennzeichen kommunistischer Politik, aus den aktuellen Widersprüchen Forderungen und Lösungen zu entwickeln, die am Bewusstseinsstand der Menschen andocken, aber auch über das herrschende System hinausreichen. Genau das ist doch die Triebfeder wirklich revolutionärer Politik, die in den realen Kämpfen den Blick weitet über die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse hinaus. Gerade angesichts der Zuspitzung der globalen die Menschheit bedrohenden Krisen erkennen doch immer mehr Menschen, dass der Kapitalismus keine Antworten auf diese Herausforderungen bietet. Wir wären doch mit dem Klammersack gepudert, wenn wir uns in unseren Forderungen beschränken würden auf diejenigen, die heute unter kapitalistischen Bedingungen durchsetzbar erscheinen. Und selbstverständlich weisen wir in diesen Zusammenhänge darauf hin, welche Kapitalinteressen unseren Lösungen entgegenstehen. Nach Möglichkeit aber nicht wie in den meisten Öffentlichkeitsmaterialien des PV, die dann nach dem Penetrationsprinzip von Cato dem Älteren völlig unvermittelt am Ende den obligatorischen Sozialismus-Abspann beinhalten, so wie damals, dass im Übrigen Karthago zerstört werden müsse.

Völlig abstrus und entlarvend sind die Vorwürfe, der Zero-Covid-Aufruf würde wegen seines europaweiten Ansatzes Illusionen in die Prozesse der EU schüren. Wer so argumentiert, kann nur noch national-bornierte Politik entwickeln und hat keine Antworten auf globale Herausforderungen. Die EU ist ein Feld des Klassenkampfes. Wer das nicht begreift, kann nur noch am politischen Spielfeldrand auf deren Zusammenbruch warten. Etwas bewirken im nationalen und internationalen Interesse der arbeitenden Menschen wird er nicht mehr.

Die Initiative Zero Covid hat nun eine Kampagne gestartet: Drei Wochen bezahlte Pause statt dritter Welle!

Die Hauptforderungen sind:

Solidarische Arbeitspause – 3 Wochen bezahlter Corona-Sonderurlaub nach Ostern, die Arbeit in lebensnotwenigen Sektoren wird weitergeführt, diese Beschäftigten erhalten einen Ausgleich

Unterstützung für Kinder, SchülerInnen und Eltern, also kostenfreie Endgeräte und eine Nachhilfesystem für SchülerInnen, umfassende Notbetreuungen, zusätzliche Elternurlaube

Radikaler Kurswechsel beim Impfen, also freie Impfstofflizenzen für weltweite Produktionserlaubnis und eine schnellere und faire Impfkampagne

Solidarische Finanzierung, also Corona-Abgabe auf hohe Vermögen und Einkommen

Wir sollten den Aktionstag am 10.04.21 zur Durchsetzung dieser Forderungen vor Ort unterstützen.

 

Meinungsaustausch zur Corona-Pandemie und Zero Covid

Sa., 27. März 2021 11:00 - 13:00 (CET)

Immer deutlicher wird, dass die Staaten Europas keinen für die Mehrheit der Bevölkerung erstrebenswerten Ausweg aus der Corona-Pandemie finden.

Sichtbar wie selten vorher, stehen die Lebens- und Gesundheitsinteressen der breiten Masse dem Profitinteresse des Monopolkapitals gegenüber.

Die großen Unternehmen realisieren das, was sie schon immer vorhatten, nämlich massiven Personalabbau. Die Aktienkurse schießen in die Höhe genauso wie die Zahl der Toten. Viele Kleinbetriebe werden kaputt gehen.

Angst vor Corona, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, Angst vor der Zukunft – Angst fressen Seele auf.

Nun liegt mit Zero Covid eine auch unter kapitalistischen Bedingungen umsetzbare solidarische Alternative vor, die sowohl die Gesundheit der Menschen als auch die soziale Frage auf die Tagesordnung gesetzt hat. Über 100.000 Personen haben ihn bislang unterschrieben.

Aber auch unter Linken gibt es unterschiedliche Meinungen zu diesem Ansatz.

Wir wollen daher eine Videokonferenz zum Meinungsaustausch über fortschrittliche Auswege aus der Pandemie anbieten.

Anmeldung unter:  Detlef-Fricke@post-fricke.de

Zur Vorbereitung empfehlen wir folgende Materialien:

1)    Aufruf Zero Covid: www.zero-covid.org

2)    Die beiden Pro-und-Contra-Beiträge von kommunisten.de
 https://kommunisten.de/rubriken/meinungen/8094-zerocovid-pro-kontra
 https://kommunisten.de/rubriken/meinungen/8098-zerocovid-pro-kontra-teil-2

3)    Wissenschaftler für einen konsequenten Lockdown
 https://www.faz.net/aktuell/wissen/manifest-europaeischer-forscher-wir-koennten-in-vier-wochen-am-ziel-sein-17109869.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

4)    Bundesweite Zeitung Zero Covid
 http://www.info-faktencheck.de/wordpress/wp-content/uploads/2021/02/ZC01-ZEITUND-END-Taz.pdf

5)    Beitrag von Artur Moses auf NkP-Konferenz
 http://kommnet.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6810:corona-ist-herausforderung-fuer-kommunistische-politik-&catid=129:blog&Itemid=324

6)    Süddeutsche Zeitung: "Zero Covid" ist reines Wunschdenken
 https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zero-covid-lockdown-neuinfektionen-1.5181838

7)    Mehr als ein Appell – Kommentar von Patrik Köbele
 https://www.jungewelt.de/artikel/394796.mehr-als-ein-appell.html

Gedenkrede zum Tod von Otto Marx

Abschied von Otto Marx , langjähriger Leiter der der Karl - Liebknecht- Schule der DKP von Jürgen Köster und Norbert Müller (Leicht gekürzte Fassung)

(gehalten am 20.2.2021 auf dem Landwehrfriedhof in Oberhausen)

Geboren wurde er am 28. Dezember 1929 hier in Oberhausen und er wuchs so hinein in eine schwere und bewegte Zeit. Kindheit und Jugend waren bei Otto noch geprägt von der Schreckensherrschaft der Nazis, dem von ihnen angezettelten verbrecherischen 2. Weltkrieg, der Not und den Entbehrungen jener harten Zeit.

Seine Familie sympathisierte mit den Edelweißpiraten, und Otto erinnerte sich später immer daran, dass über vieles von dem, was zu Hause erzählt wurde, nichts nach außen dringen durfte. Einer seiner Lehrer war ein verbohrter SS-Mann, aber er wusste auch von einem anderen, der den Hitlergruß verweigerte. Seine Verschickung auf einen Bauernhof lehrte ihn, das Elend der dort beschäftigten Zwangsarbeiter zu erkennen. Aber diese lehrten ihn auch das Schachspiel und er brachte schließlich den Mut auf, einen Franzosen zu verstecken.

Kurz vor Kriegsende wurde Otto doch noch in den Krieg eingezogen. Er kam zu einer Fallschirmtruppe, geriet kurze Zeit in Gefangenschaft und konnte dann zum Glück mit heiler Haut wieder nach Hause zurückkehren.

Hier nahmen sich nun antifaschistische Widerstandskämpfer wie Ernst Kircher seiner an, die ihm die Augen über das wahre Wesen von Imperialismus und Faschismus öffneten und seinen künftigen geradlinigen Weg vorzeichneten. Konsequenterweise trat Otto dann am 1. Januar 1946 – mit gerade 16 Jahren – in die FDJ und die KPD ein.

Otto erlernte den schweren Beruf des Formers, engagierte sich bald auch im Betrieb, setzte sich als Jugendvertreter und Betriebsrat konsequent für die Interessen seiner Kollegen ein und wurde deshalb prompt entlassen. Auf seine Initiative trafen sich aber auch in den fünfziger Jahren fortschrittliche junge Menschen auf einem Kongress in Oberhausen, um sich für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR einzusetzen.

Mit der Adenauer-Ära verschärfte sich zunehmend der Antikommunismus, dessen vorläufiger Höhepunkt das KPD-Verbot 1956 war. Otto sollte neben vielen anderen auch verhaftet werden, konnte sich aber absetzen und nutzte nun die folgenden Jahre, um sein marxistisches Wissen zu erweitern und zu vertiefen.

In jener schweren Zeit fand Otto aber auch mit seiner Erika die Liebe seines Lebens. Sie stammte aus einem kommunistischen Elternhaus und daher haben sie sich auch politisch ein Leben lang verstanden. Bald wurde geheiratet und die Geburt von Tochter Petra vervollständigte das junge Glück. Und man kann sagen, dass Otto trotz aller politischen Arbeit das Wohl seiner Familie stets über alles ging.

Mit der Neukonstituierung der Deutschen Kommunistischen Partei 1968 fand Otto auch sofort wieder Aufgaben im nun wieder legalen Klassenkampf. Er wurde zum Kreisvorsitzenden der DKP in Oberhausen gewählt, gehörte viele Jahre dem Bezirksvorstand Ruhr-Westfalen an und arbeitete aktiv in der VVN/BdA mit.

Als die Partei ihn bat, die Leitung der Karl-Liebknecht-Schule in Leverkusen zu übernehmen, fand Otto eine neue große politische Herausforderung. In den Folgejahren haben tausende – meist junge Genossen – durch ihn die Grundgedanken der Werke von Marx, Engels und Lenin verstanden und Otto als standfesten und theoretisch beschlagenen Kommunisten kennen und schätzen gelernt. Durch ihn haben viele Menschen auch den Sinn der folgenden Gedanken von Karl Marx erfasst und als Richtschnur für ihr eigenes künftiges Handeln verinnerlicht:

„Es gilt, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist!“

Doch wer nun glaubt, Otto sei ein verstaubter Studierstuben-Theoretiker und verknöcherter „Revoluzzer“ gewesen, der irrt gewaltig! Otto war auch ein sehr kulturbeflissener Mensch, der fasziniert war von der Mathematik und der Musik – vor allem der von Ludwig von Beethoven. Ihm war es auch mit zu verdanken, dass eine erste große Ausstellung Bildender Kunst der DDR in Oberhausen gezeigt wurde. Er liebte russische Chöre, hat zu Hause gerne und gut gekocht und sich natürlich auch selbstverständlich mit Erika die Hausarbeit geteilt. Das war für Otto Marx die gelebte Dialektik von Theorie und Praxis!

Otto hat auch das politische und kulturelle Leben seiner Heimatstadt auf vielfältige Weise bereichert. So hat er sich gemeinsam mit Erika für den Ostermarsch stark gemacht, trat vor Schulklassen auf, um über den faschistischen Terror in Oberhausen zu berichten. Gemeinsam mit den Freidenkern und den Linken hat er in Duisburg die Bildungsreihe „Marx in Marxloh“ aus der Taufe gehoben. So hat Otto immer und überall für breite Bündnisse geworben, um diesem mächtigen Klassengegner – dem deutschen Imperialismus – mit möglichst breiter Front wirksam entgegentreten zu können. In diesem Sinne hat er sich auch immer für die Richtigkeit der Beschlüsse des 7. Weltkongresses der Komintern eingesetzt, der die eigenen Fehler aufarbeitete, sich entschieden gegen das Sektierertum und die Unterschätzung einer breiten Bündnispolitik mit anderen fortschrittlichen Kräften ausgesprochen hatte.

Es gibt noch so vieles über das Wirken von Otto Marx – auch hier in Oberhausen - zu sagen. Aber das möchte ich nun doch lieber Norbert Müller überlassen, dessen Lebensweg Otto sicher auch stark mitgeprägt hat.

 

Redebeitrag Norbert Müller:

Als ich Anfang der 70-er Jahre nach Oberhausen kam, war Otto Marx hier bereits längst eine feste politische Größe. Er war Vorsitzender der örtlichen DKP, einer Partei im Aufbruch. Es war eine spannende Zeit damals. Und sehr schnell gab es Berührungspunkte, auch persönlich, z.B. in der „Aktion Kleine Klasse“, im Berufsverbote-Komitee oder in der Chilesolidarität.

 Auch in seiner Zeit als Leiter der Karl-Liebknecht-Schule in Leverkusen ab Mitte der 70-er Jahre war Otto in Oberhausen präsent. So bei den gewerkschaftlichen Aktionen gegen die Schließung von Großbetrieben und gegen Massenentlassungen. Als sich Ende der 70-er Jahre die Friedensbewegung gegen die Stationierung amerikanischer Atomraketen neu aufstellte, war Otto mit einer damals auch in Oberhausen sehr aktiven DKP dabei. Mit ihm immer auch Erika im Familienverbund, und Petra durfte da natürlich nicht fehlen. Wie oft haben wir uns z.B. auf den Ostermärschen getroffen! Und später auch auf den zahlreichen örtlichen und überörtlichen Aktionen der Friedensbewegung gegen Kriege und Kriegsbeteiligungen in Jugoslawien, Irak und Afghanistan.

 Wenn es vor Ort um Aktionen gegen Rechts ging, durften die Marxens nicht fehlen. Noch 2017 im Januar waren Otto und Erika, schon von Krankheit gezeichnet, beim Protest gegen den AFD-Parteitag vor der Stadthalle mit dabei.

 Antifaschismus gehörte für Otto, der die faschistischen Greuel in seiner Kindheit hautnahe erlebt hatte, zur DNA. Mit Gründung der VVN begleitete er die Generation der überlebenden Widerstandskämpfer. Später trug er maßgeblich mit dazu bei, dass der Generationenwechsel in der Oberhausener VVN gelingen konnte. Selbst beteiligte er sich auch in seinen Altersjahren an den Gedenk- und Diskussionsveranstaltungen der Gedenkhalle. Bei der Neukonzeption der Dauerausstellung monierte er die unzureichende Würdigung des Arbeiterwiderstands. Bei der Verlegung von Stolpersteinen war er regelmäßig präsent. Als Zeitzeuge war er gern gesehener Gast an Schulen.

 Otto Marx war ein entschiedener Verfechter von Bündnispolitik. Er war fern jedes Dogmatismus oder gar Sektierertums. Das machte ihn aus und über Parteigrenzen sehr glaubwürdig. Im Bündnis galt es für ihn aus einer Minderheitenposition als Kommunist anerkannt zu werden und kritische Anstöße geben zu können.

„Man kann sie sich nicht malen“. Das war einer der Sätze in denen Otto seine bündnispolitischen Überzeugungen zusammenfasste.

1984 zog das Ratsbündnis ‚Bunte Liste‘ mit gleich vier Sitzen in den Rat ein. Die DKP hatte mit den Grünen, den Demokratischen Sozialisten und sonstigen Linken auf einer Liste kandidiert. In der DKP war das längst nicht selbstverständlich. Und ohne Ottos entschiedenen Einsatz und Einfluss bei den Parteioberen hätte das wohl nicht geschehen können.

Die „Linke Liste“ existierte zwei Wahlperioden und war in diesen zehn Jahren parlamentarische Anlaufstelle und Sprachrohr für soziale Bewegungen und linke Gewerkschafter.

Parlamentarische Arbeit auf der kommunalen Ebene war für Otto sehr wichtig. Eine Zeit fungierte er für die grün-alternative Liste als Bezirksvertreter.                                                                                                                                                              

Bei der Gründung der PDS 1998 und der Gründung der Partei ‚Die Linke‘ 2007 nahm er als Vertreter der DKP als Gast teil. Otto war gern gesehener Gast und Berater der Ratsfraktion und nahm gemeinsam mit Erika am Parteileben teil. Sie gehörten einfach dazu. Stolz waren sie darauf, dass Tochter Petra Ratsfrau der LINKEN LISTE wurde.

Otto beeindruckte durch seine freundliche, ruhige und sachliche Art. Er hatte großes historisches Wissen und das vermochte er gut rüberzubringen. Seine strategischen Fähigkeiten waren beeindruckend - bis zum Schluss. Ich habe so manchen Besuch am Krankenbett auch in seinen letzten Lebensmonaten als Lehrstunde erlebt. Dafür bin ich dankbar!

Er, der Lehrer von Generationen von Marxisten, machte regelmäßig deutlich, wie wichtig eine konsequente marxistische Bildungsarbeit ist und bedauerte, dass sie oft, allzu oft fehlt. Seine umfassende Literatursammlung, die er der Oberhausener Linken übereignet hat, sah er als gute Grundlage hierfür. Dies sollten wir als sein Vermächtnis begreifen.

Otto wird uns fehlen!

Aktuelle Herausforderungen an kommunistische Politik

Überarbeiteter Diskussionsbeitrag von Rainer Dörrenbecher (DKP Saarland) beim Videotreff des „Netzwerk Kommunistische Politik“ am 31.01.2021

Der Beitrag ist ein Versuch Diskussionen zusammenzufassen, die im Bezirksvorstand Saarland zu gegenwärtigen Herausforderungen an kommunistische Politik geführt wurden.

Vor 1 ½ Jahr war der Entwurf des Leitantrages des Parteivorstandes an den 23. Parteitag veröffentlicht worden. Der Titel war: „Die Kampffelder der DKP im Rahmen der antimonopolistischen Strategie“. Kritik bis in die parteivorstandsorientierte Mitgliedschaft gab es wegen des Fehlens des Kampffeldes „Ökologie und Klima“. Zum Parteitagsbeschluss „die ökologischen Krise und die Notwendigkeit einer antikapitalistischen Umweltpolitik“ gab es viele Änderungsanträge, wenige wurden berücksichtigt. In den „Kernaussagen“ zur Bundestagswahl fehlen Ökologie und Klima erneut. Patrik Köbele hat dies damit begründete, die DKP habe dazu nicht auch noch Kraft. Der Umgang des PV mit dieser Thematik lässt erkennen, dass das Problem des Klimawandels, damit verbunden die ökologische Krise in ihrer Tiefe, Auswirkungen und Schlussfolgerungen für kommunistische Politik sich nicht widerspiegelt.

Wir befinden uns gegenwärtig in tiefgreifenden Prozessen des Umbaus, der Transformation, der Weiterentwicklung der Produktivkräfte, einschließlich der menschlichen Arbeitskraft. Es geht nicht nur um den stofflichen Umbau der Energiewirtschaft, der Verkehrssysteme, der Stahlproduktion und anderer Bereiche. Der Versuch einer Umstellung auf sogenannte „Grüne Produktion“, auf einen „Grünen Kapitalismus“, ist nur ein Teil einer notwendigen technischen und wirtschaftspolitischen Umgestaltung der Produktivkräfte. Das betreiben gerade die Automobilkonzerne und die Energiewirtschaft im Bunde mit den regierungskompatiblen Parteien. Das Nichterreichen der Klimaziele der Pariser Vereinbarungen ist vorprogrammiert. Ob ein solcher Umbau im Kapitalismus überhaupt möglich ist, muss mit Fragezeichen versehen werden.

Nur nach dem Profitprinzip wird es nicht einmal Grüne Produktion geben. Im ND vom 23. Januar d.J. wird in dem Beitrag „Warum ein ressourcenschonender Kapitalismus prinzipiell unmöglich ist“ das Fragezeichen bestätigt.

Die gesellschaftspolitische Gestaltung dieses objektiv notwendigen Prozesses, die Transformation der Produktivkräfte, muss deshalb vor allem eine Aufgabe der Arbeiterbewegung werden. Es geht nicht „nur“ um ökologische Transformation, sondern um deren sozialen Charakter. Deshalb ist der Begriff sozialökolgischer Umbau aus unserer Sicht zutreffender. Darauf aufmerksam zu machen, dazu zu argumentieren, Initiativen ergreifen und unterstützen halten wir für eine wichtige Herausforderung an kommunistische Politik. Jetzt und in Perspektive. Nur darauf hinzuweisen, dass die Ökologiefrage nicht vergessen werden darf, ist nicht zukunftsfähig.

Kommunistische Politik kann sich meiner Meinung nach nicht darin erschöpfen die C02 -Steuer abzulehnen oder bei den Forderungen der IGMetall zur aktuellen Tarifrunde dieses oder jenes Detail für nicht ausreichend zu erklären. Die Hauptschwäche in der Begründung und Orientierung der tarifvertraglichen Konzeption ist das Zurückweichen vor den Konsequenzen einer wirklich qualitativen Weiterentwicklung der Mobilität. Die Verkehrswende wird angesprochen aber beschränkt auf den Austausch des Verbrenners durch den Elektroantrieb. Wir wissen, nicht nur das Problem der C02-Bilanz wird so in die außereuropäische Welt verlagert, es geht auch um ursprüngliche Formen der Ausbeutung und umfangreiche Umweltzerstörung.

Der angesprochene Transformationsprozess geht über die Veränderung des Menschen als Produktivkraft hinaus, er macht eine Änderung unserer Lebensweise notwendig. Wir sind uns eigentlich bewusst, dass nicht alle Menschen so leben können wie wir in den entwickelten kapitalistischen Ländern. Dazu muss ich keine Beispiele anführen. Ein Endloswachstum von Wirtschaft, Naturzerstörung und Konsum kann sich die Erde nicht leisten und wir auch nicht. Unsere marxistische Politische Ökonomie, wissenschaftlich arbeitende Marxistinnen und Marxisten, beschäftigen sich schon seit einiger Zeit damit, wie z.B. das isw, aktuell mit dem Report vom Dez., auch die Marx-Engels-Stiftung mit Veranstaltungen.

Eine weitere Herausforderung ist die Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft. Diese als Heilmittel für viele Probleme gepriesen, dient zuallererst als Rationalisierungsinstrument. Statt die Potenziale neuer Technologien zur Erleichterung und Aufwertung von Tätigkeiten zu nutzen, erleben die Beschäftigten eine weitere deutliche Verdichtung ihrer Arbeit. Digitalisierung wird nicht genutzt, um Arbeitszeiten zu verkürzen sondern dient dazu, noch mehr Profit aus den Beschäftigten herauszupressen. Der dadurch drohende Verlust von Arbeitsplätzen (ca. 30 Prozent in der industriellen Fertigung und viele im Verwaltungsbereich) verstärkt die Ängste in der Krise zusätzlich.

Ohne gesamtgesellschaftliche Planung, ohne Kontrolle und Steuerung von Investitionen, ohne strukturelle Eingriffe in die Eigentumsrechte, ohne Erweiterung der Mitbestimmungsrechte, wird sich an den bisherigen Produktionsverhältnissen nichts ändern. Forderungen und Konzeptionen außerhalb der Konzernlogik sind erst wenige erkennbar. Nicht nur die Gewerkschaften sind sozialökologisch gefordert.

Nun gibt es seit einem Jahr eine weitere, die Menschheit betreffende Herausforderung, die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Pandemien haben jetzt die hochentwickelten Länder erreicht. Und es kommt hinzu, dass Covid 19 gefährlicher für die Menschheit ist, als alles bisher gekannte.

Der Parteivorstand beschränkt sich darauf, die Abwälzung der finanziellen Auswirkungen auf die arbeitenden Menschen zu bekämpfen und sich für Arbeitsschutz einzusetzen. Die Pandemie wird als eine eigenständige Krise nicht wahrgenommen. Diese Pandemie hat doch nicht „nur“ finanzielle „Auswirkungen“, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen? Es geht darum, Gesundheit und Leben zu schützen hier in unserem Land genauso wie in Timbuktu und nicht nur in Havanna und Wuhan.

In dem Zusammenhang frage ich mich, ob es richtig und vertretbar ist, dass wir die Aufrechterhaltung nicht daseins-notwendiger Produktion befürworten können?

Virologen gehen inzwischen davon aus, das Virus werde bleiben. Welche Fragen ergeben sich für uns daraus? Nicht virologische oder medizinische, aber gesellschaftspolitische.

Schon im März vergangenen Jahres war in einem Beitrag auf Kommunisten.de auf den Zusammenhang von „westlicher“ Lebensweise und Corona hingewiesen. Wir hatten das in einer Erklärung des Bez.Vorstandes damals aufgegriffen und geschrieben: „Das Auftauchen von Corona und die schnelle Abfolge anderer Virusepidemien (SARS, Vogelgrippe, Zika, Ebola, Geflügelpest,...) in den letzten Jahren sind verbunden mit der sich immer weiter verschärfenden kapitalistischen Ausbeutung der Natur. Die immer weiter vordringende Abholzung von Wäldern für Ressourcenabbau, Holz und Agroindustrie zerstört jene Ökosysteme, die aufgrund ihrer Vielfältigkeit entsprechende Viren zurückhalten und isolieren können. Das ist die Meinung von Wissenschaftlern, die sich ernsthaft damit beschäftigen.

Der zweite Faktor ist nach Meinung vieler Wissenschaftler die kapitalistische Fleischproduktion, denn die damit einhergehenden genetischen Monokulturen und der hohe Durchlauf von Tieren in der industriellen Produktion sind optimale Bedingungen für Ausbreitung und Überspringen der Viren auf Menschen.

Bei Wissenschaftlern, die sich mit diesen Themen beschäftigen sind diese Zusammenhänge, unbestritten. Doch eine breite öffentliche Debatte darüber wird nicht geführt. Die ökonomisch Mächtigen und ihrer Vertreter unterdrücken sie. Corona verweist uns darauf, welche Verwüstungen die kapitalistische Produktionsweise im Feld der Gesundheit, der Ernährung, der Gesellschaft und der öffentlichen Infrastruktur nach sich gezogen hat.“

Auch im gewerkschaftlichen Bereich wird sich zumindest theoretisch mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Auf der Netzwerk-Veranstaltung im November hatte Hans-Jürgen Urban, Mitglied des IGMetall-Vorstandes, diese Zusammenhänge als Ausgangsthese seines Vortrages genommen. Sein Stichwort war: „Die kapitalistische Produktions- und Lebensweise bedroht Biodiversität und intakte Ökosysteme und fördert das Überspringen tierischer Erkrankungen auf den Menschen.“

Abschließend ein Resümee von Prof. Klaus Dörre, der gelegentlich auf kommunisten.de zu lesen ist. Er schreibt in dem Beitrag „Lockdowns sind kein Klimaschutz“ auf JACOBIN: „In Deutschland und Europa mangelt es nicht an … Entwürfen (zum Thema „New Green Deal“). Sie alle weisen große gemeinsame Schnittmengen auf. Nachhaltige Verkehrs- und Energiewende, Sicherheitsgarantien für Beschäftigte aus den Karbonbranchen, Umverteilung mittels gerechter Steuerpolitik, Aufwertung von Sorgearbeit, Arbeitszeitverkürzung, eine armutsfeste Grundsicherung, Bekämpfung prekärer Beschäftigung - sowie ein neuer Multilateralismus, der Aufrüstung und Kriege vermeidet, indem er einer gerechten Weltwirtschaftsordnung zum Durchbruch verhilft, gehören zum Standardrepertoire der meisten Konzepte.

……

Aktuell, dabei bleibe ich, sind die Aussichten für eine solche Perspektive nicht allzu gut. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sperren sich gegen radikale Veränderungen. »Durchkommen« lautet die Devise, der viele folgen. Doch jede Verwerfung, die der Katastrophenkapitalismus erzeugt, schafft zugleich Gründe, die für seine Überwindung sprechen. Jedes systemkonforme Management der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise ist mit hohen Risiken behaftet, und auch die Gefahren durch eine autoritäre Rechte, die sich weiter radikalisiert, sind keineswegs gebannt.

Umso wichtiger ist, dass klar umrissene emanzipatorische Alternativen öffentlich sichtbar werden, die einen Bruch mit dem Bestehenden fordern. Auch dafür gibt es Beispiele: neue Allianzen von Klimabewegungen, Umweltverbänden und Gewerkschaften; Forderung nach einer Gemeinwohlwirtschaft, wie sie etwa der BUND propagiert; die Frauenstreikbewegung, die neue Formen des Arbeitskampfs erprobt; die weltweiten Proteste von Black Lives Matter gegen Rassismus und Polizeigewalt. All das zeigt: Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Und analytischer Realismus wirkt mobilisierend. 

Für alle, die die Zerstörung des Planeten durch den Kapitalismus stoppen wollen, kann die Zukunft nur eine ökosozialistische sein.“

Das Ergebnis unserer bisherigen Diskussionen könnte so zusammengefasst werden:

Die Herausforderungen der Klima- und Ökologiefrage nicht als politisches Stiefkind, als etwas zusätzliches, das nicht vergessen werden darf, wahrzunehmen. Unserer Meinung nach geht es darum, sie als fester, organischer Bestandteil unseres Wirkens als Kommunisten zu verstehen: In der kommunistischen Strategie und Taktik und vor allem in der gesellschaftspolitischen Praxis. Vor allem für zukünftige kommunistische Politik.

Aufruf - Für neue Initiativen und neue Bündnisse im Kampf um den Frieden

 

Die Coronakrise und die Verschärfung der geopolitischen Konfrontation mit all ihren Konsequenzen lehren uns in aller Deutlichkeit, dass es nur diese eine Welt gibt und dass diese Welt ihre Probleme nur gemeinsam und friedlich lösen kann. Was wir brauchen, ist die vereinte Kraft aller Friedenskräfte zur Entmilitarisierung des traditionellen Sicherheitsdenkens. Die neuen globalen Herausforderungen lassen sich nicht mit Streitkräften lösen. Die Dominanz des Militärischen im Sicherheitsdenken ist heute selbst zum Sicherheitsrisiko geworden.

Tief besorgt angesichts der multidimensionalen Krise rufen wir, ehemalige Diplomaten, Abgeordnete, Hochschullehrer und Offiziere - als Mitglieder des Gesprächskreises Frieden und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung - alle Friedenskräfte zu einem neuen Dialog im Kampf um den Frieden auf.

In diesem Kampf stellt sich die Aufgabe, unter den neuen, komplizierteren Bedingungen der 2020er Jahre parlamentarische und außerparlamentarische Mehrheiten zu organisieren. Das wirft unweigerlich die Frage nach neuen Bündnissen auf - und auch die Frage, wie man solche Bündnisse schaffen kann, ohne politische Grundpositionen preiszuggeben.

Der entscheidende Ansatz hierfür besteht im Verständnis der Komplexität des Problems und im Verständnis der außerordentlichen Differenziertheit der Friedenskräfte. Für den Frieden sind breiteste Kreise der Bevölkerung mobilisierbar. Lösungen sind nur durch gemeinsame Anstrengungen über die Parteigrenzen hinweg erreichbar.

Dabei sollte auf bewährte Erfahrungen aus der Friedensbewegung der 1980er Jahre zurückgegriffen werden. Bei der Auseinandersetzung um den sog. Nachrüstungsbeschluss der NATO hat es die Friedensbewegung – insbesondere mit dem Krefelder Appell aber auch beim Olaf-Palme-Friedensmarsch - verstanden, das Instrument des „Minimalkonsenses“ mit großer Flexibilität zu handhaben.[1]

Ausgehend von diesen Erfahrungen, schlagen wir vor, vorrangig solche Ziele zu finden und in den Vordergrund zu stellen, an denen sich Friedenskräfte in einer großen Vielfalt orientieren können - wo also Kooperationen am ehesten Erfolg versprechen. Wir halten für ein solches Herangehen insbesondere folgende Aktionsfelder und Themen am ehesten geeignet:

Erstens: Potenzielle Kooperationspartner sind vor allem jene Kräfte und Bewegungen, die sich den mehr oder weniger neuen, existenziellen Herausforderungen der Menschheit als Ganzes stellen, also dem menschengemachten Klimawandel und den damit für die Menschheit drohenden Gefahren, dem Ressourcenproblem, der ungleichmäßigen demografischen Entwicklung und insbesondere der zunehmenden sozialen Differenzierung innerhalb und zwischen den Staaten und Weltregionen. All diese Herausforderungen sind untrennbar mit der Friedensfrage verbunden. Fehlentwicklungen in diesen Bereichen haben das Eskalationspotenzial zu Chaos, zu Flucht und Vertreibung bis hin zu militärischen Konflikten. Die Friedensfrage ist das einigende Band, das all diese komplexen Probleme, alle Teile der Bevölkerung und auch die verschiedenen Gruppierungen miteinander verbinden kann.

Zweitens: Die entscheidenden Gefahren für Frieden und Stabilität in Europa gehen gegenwärtig von der Existenz und Politik der NATO aus, dieder ökonomische Theoretiker Samir Amin nicht zu Unrecht die „eiserne Faust des westlichen Imperialismus“ genannt hat. Hinter der NATO stehen einflussreiche Kräfte des Militär-Industrie-Komplexes aus den USA und Westeuropa, die von einem Anheizen der Spannungen und der Konfrontation profitieren und die ihre geostrategischen Machtinteressen gegenüber aufstrebenden Mächten durchsetzen wollen und diese wie im Falle Chinas und Russlands als politische und militärische Gegner angesehen werden. Das Dilemma der Friedensbewegung besteht aber darin, dass die NATO von einer Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und Europa eher als Sicherheitsfaktor wahrgenommen wird. Insofern muss es den Friedenskräften insbesondere darum gehen, die offensichtlichen Lügen, Verleumdungen, Manipulationen, Völkerrechtsverstöße, Widersprüche und realen Auswirkungen der NATO-Politik aufzudecken. Forderungen nach Auflösung der NATO oder Austritt aus ihrer Militärorganisation scheinen gegenwärtig in Deutschland nicht mehrheitsfähig. Wichtiger ist es, sicherheitspolitische Alternativen zur NATO als Ganzes bzw. zu einzelnen Aktivitäten zu entwickeln, die in den weiteren Aktionsfeldern und Themen angesprochen werden sollen. Wir warnen in diesem Zusammenhang vor der Illusion einer militarisierten EU: Diese wird kein Friedensfaktor sein, sie wird die Aufrüstung nur effektiver gestalten.

Drittens: Mehr denn je ist die Normalisierung der Beziehungen zwischen Russland und dem transatlantischen Westen die Schlüsselfrage für Frieden, Sicherheit und Stabilität in ganz Europa. Sicherheit in Europa kann und darf es nicht gegen sondern nur gemeinsam mit Russland geben (Egon Bahr). Die NATO benötigt und benutzt das „Feindbild Russland“ zur Begründung und Rechtfertigung ihrer eigenen aggressiven Politik. Besonders die USA haben großes Interesse an der Verhinderung einer deutsch-russischen bzw. westeuropäisch-russischen Partnerschaft. Es ist die Furcht vor einem starken „eurasischen Block“, die zur permanenten Dämonisierung Russlands und seines Präsidenten als Verkörperung des „Bösen“ benutzt wird. Deshalb eine Politik der ständigen Provokationen Russlands durch die NATO und die Darstellung seiner legitimen Schutzmaßnahmen als aggressiv. Nicht Russland ist an die Grenze der NATO vorgerückt, sondern die NATO bis an die Grenzen Russlands. Dabei hat sich die NATO von 16 auf 30 Mitgliedsländer erweitert. Der Rüstungshaushalt der NATO beträgt gegenwärtig fast das Zwanzigfache von dem Russlands.[2]

Russland selbst will Partnerschaft auf Augenhöhe und keine Politik der Konfrontation, erst recht keinen Krieg mit dem Westen. Russland braucht alle Kraft zum Aufbau seiner Wirtschaft und zur sozialen und politischen Entwicklung seiner Gesellschaft. Deshalb verweigert es sich auch einer neuen Runde des Wettrüstens. Es gibt gute Grundlagen für eine Überwindung der feindseligen „Politik der Stärke“, die die Verteidigungsministerin der Bundesrepublik gegen Russland als „gute Tradition“ zu beschwören versucht. Deutschland hat starke Wirtschaftsinteressen in Russland und traditionell enge kulturelle Verbindungen mit diesem Land – und das keineswegs nur über die östlichen Bundesländer. Wer in Europa Frieden will, muss neu anknüpfen an den Grundsätzen der KSZE und der Charta von Paris.

Viertens: Ein eigenständiges Aktions- und Themenfeld ist die Auseinandersetzung mit der Gefahr eines Kernwaffenkrieges. Diese Problematik hat in der letzten Zeit dadurch an Brisanz gewonnen, dass die vorhandenen Waffensysteme modernisiert und effektiver gemacht worden sind. Es wurden qualitativ neue Trägersysteme entwickelt; es vollzog sich eine Tendenz zur Miniaturisierung von Kernwaffen und zur Automatisierung der Entscheidungsprozesse. Gleichzeitig sind die bisher bestehenden Vertragssysteme zwischen Russland und den USA zur Rüstungskontrolle und -begrenzung faktisch außer Kraft gesetzt worden. Der einzige wirkliche Abrüstungsvertrag - INF-Vertrag über das Verbot von Mittelstreckensystemen in Europa - wurde von den USA und in der Folge auch von Russland gekündigt. Für Deutschland ist vor allem von Bedeutung, dass die Stationierung US-amerikanischer Nuklearbomben in Büchel aufrechterhalten und diese Bomben modernisiert wurden. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach einer Beschaffung neuer Trägerflugzeuge für die Luftwaffe. Deutschland ist zwar völkerrechtlich zum Verzicht auf Kernwaffen verpflichtet, ist aber über die „nukleare Teilhabe“ in die nukleare Bedrohungspolitik der NATO eingebunden. Diese „Teilhabe“ verstößt jedoch eindeutig gegen den Nichtweiterverbreitungsvertrag und den Zwei-Plus-Vier-Vertrag, und ist daher völkerrechtswidrig. Gleichzeitig besteht aber gerade in der Ablehnung der Stationierung von Kernwaffen auf deutschem Boden und in der Kritik der nuklearen Abschreckung ein starker Konsens in der Friedensbewegung - wie in der deutschen Bevölkerung insgesamt. Beachtenswert ist dabei gegenwärtig besonders ein kritischer Neuansatz in der SPD zur „nuklearen Teilhabe“. Gerade in der Kernwaffenfrage gibt es in Deutschland ein traditionell kritisches Potenzial für gemeinsame Protestaktionen, wie z.B. gegen die Stationierung und Modernisierung der Kernwaffen in Büchel.

Fünftens: Die real vorhandene Grundstimmung in der Bevölkerung gegen Kernwaffen sollte mit einer konstruktiven Haltung zur Abrüstung und Rüstungsbegrenzung verbunden werden. Faktisch ist das Gesamtsystem der vertraglich vereinbarten Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung auf konventionellem wie nuklearem Gebiet zusammengebrochen. ABM-Vertrag, INF-Vertrag, Open Sky und der Iran-Deal wurden einseitig durch die USA aufgekündigt. Das KSE-Abkommen der Wiener Konferenz über die Begrenzung der konventionellen Bewaffnung wurde nie rechtskräftig, da es die NATO-Staaten nicht ratifiziert haben. Die sog. Steinmeier-Initiative von 2016, die über die OSZE zu einer Neubelebung der konventionellen Rüstungskontrolle führen sollte, verlief im Sande. Auch das System der Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM) ist ins Stocken geraten. Ein Neustart des Gesamtsystems von politischem Dialog, Abrüstung und Rüstungskontrolle ist dringend erforderlich. Die Verlängerung von START 3 um ein Jahr kann als Signal realpolitischer Möglichkeiten gewertet werden. Notwendig ist dabei auch die Aufnahme neuer nichtnuklearer Technologien in ein umfassendes Rüstungskontrollsystem, wie vollautomatische Führungs- und Leitsysteme, Kampfdrohnen und Systeme für den Cyberwar. Eine neue Entspannungspolitik ist aber nur realistisch, wenn es zu neuen parteiübergreifenden Initiativen und zu einem gesellschaftlichen Konsens kommt. Ein Ansatzpunkt könnte der Termin des Inkrafttretens des Kernwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen Ende Januar 2021 sein. Die NATO hat in ihrer politischen Erklärung vom 15. Dezember 2020 bereits angekündigt, diesen Vertrag ignorieren zu wollen. Das sollte als Auslöser für eine breite Protestkampagne und Masseninitiative gegen Atomwaffen und zur Forderung nach einem Neustart des Prozesses der Rüstungskontrolle und Abrüstung genutzt werden.

Sechstens: Insbesondere der Kernwaffenverbotsvertrag verweist auf das Potenzial des Völkerrechts und der Organisation der Vereinten Nationen für den Friedenskampf. Das Verbot von Kernwaffen ist zwar derzeit nur für 51 Staaten zwingendes Völkerrecht und kann aufgrund der Ablehnung durch die Kernwaffen besitzenden Staaten nicht voll wirksam werden. Das spricht nicht gegen die UNO, sondern nur für die Notwendigkeit ihrer Stärkung. Es geht um die Durchsetzung des Rechts und nicht um das Recht des Stärkeren. Es geht um die Kraft der Generalversammlung und aller Institution der UNO. Dabei sind wir uns sehr wohl der Ambivalenz und Interpretierbarkeit des Völkerrechts bewusst. Insofern steht damit die Auseinandersetzung mit der Anwendung von Doppelstandards und Versuchen des Missbrauchs des Völkerrechts auf der Agenda für gemeinsame Aktionen.

Siebentens: Europa braucht als Alternative zur NATO eine neue Friedensordnung und eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur, die alle Europäischen Länder umfasst – wobei Nordamerika durchaus eingeschlossen sein kann. Einen völkerrechtlichen Ansatzpunkt hierfür bildet die OSZE mit ihrer Charta von Paris (1990), die in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen (1949) und der Schlussakte von Helsinki (1975) die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, sich jeder gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit gerichtete Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enthalten. Es sind die im KSZE-Prozess und in der Charta von Paris festgeschriebenen Erfahrungen, die die Staaten Europas zur Kooperation auf der Basis der Gleichberechtigung und gegenseitigen Achtung der Souveränität verpflichten. Das ist eine gute Grundlage für eine starke parteiübergrei­fende und von großen Teilen der Bevölkerung getragene Bewegung, die sich aktiv gegen jegliche Konfrontationspolitik einsetzt. Mag gegenwärtig eine spezielle europäische Sicherheitsarchitektur noch Vision bleiben, es geht vor allem um die Praktizierung bewährter Prinzipien, die die Grundlage gemeinsamen Handelns sein können.

…..

Wir rufen hiermit alle an Frieden und Stabilität interessierten Kräfte in Deutschland dazu auf, diesen Aufruf für neue Initiativen und neue Bündnisse zu unterstützen und mit ihrer Unterschrift zu bekräftigen. Das Gebot der Stunde ist gemeinsames Handeln über alle parteipolitischen, sozialen und weltanschaulichen Unterschiede hinaus.

Friedenspolitik und Friedensbewegung müssen heute damit beginnen, sich konsequent mit jeglicher Konfrontationspolitik auseinanderzusetzen, da hier der Ausgangspunkt für die Gefahr einer unkontrollierbaren Eskalation bis hin zum Krieg liegt.

PD Dr. Johannes M. Becker, Prof. Dr. Lutz Kleinwächter, Prof. Dr. Karin Kulow, Prof. Dr. John P. Neelsen, Prof. Dr. Norman Paech, Prof. Dr. Werner Ruf, Prof. Dr. Wilfried Schreiber, Dipl. Staatswiessenschaftler Achim Wahl

Berlin, 08.02.2021

Initiativgruppe aus dem GK Frieden der RLS

Co:   wahl_achim@yahoo.de oder

  john.neelsen@uni-tuebingen.de


[1] Der „Minimalkonsens“ bestand in der Einigung auf den kleinsten gemeinsamen, aber für die Erreichung des Ziels erforderlichen Nenner. Dieses Ziel hieß: „Keine Stationierung von Pershing-II-Raketen und Cruise Missiles in der Bundesrepublik“. Die Prinzipien des „Minimalkonsenses“ waren: Keine Mitgliedschaft in der Kooperation, dafür offene Plenen; Keine Abstimmungen, dafür Konsensfindung; Überparteilichkeit.

[2] Nach dem SIPRI-Jahrbuch von 2020 betragen die Rüstungsetats 2019 der USA allein 732 Mrd. und der NATO 1040 Mrd. $, während der Haushalt Russland bei 65 Mrd. $ liegt.

Die Pandemie verschärft die Krisenerscheinungen des Kapitalismus, der Kapitalismus verschärft die durch die Pandemie entstandenen Probleme

Einführung Treffen Netzwerk kommunistische Politik

Werner Hensel (nicht alles ist ausformuliert, es gilt das gesprochene Wort)

31. Januar

Fast ein Jahr "Corona-Krise" vergrößert die Ungleichheit in fast allen Bereichen, macht systembedingte Mängel deutlich.

Einige Beispiele für diese Thesen:

Mängel im Gesundheitswesen, welches auf Gewinn-Maximierung getrimmt wurde, werden deutlicher:

  • zu geringe Kapazitäten in (Intensiv-)Pflege, besonders personell
  • mangelnde sachliche Vorsorge - Schutzausrüstung war zu gering vorhanden, Maskenversorung . . .
  • Corona-Prämie - kam wegen mangelhafter Regeln nur bei einem Teil der Pflegekräfte an. Nur dank der kämpferischen Tarifrunde von ver.di hat sich die Bezahlung verbessert. Von einer angemessenen Bezahlung und von erträglichen Arbeitsbedingungen weit entfernt. Kein Anreiz für "Rückkehrer".
  • Krankenhaus-Schließungen - Das Bündnis Klinikrettung schrieb Ende 2020: "In Deutschland werden zum Jahresende zwanzig Krankenhäuser geschlossen sein, doppelt so viele wie im Durchschnitt der letzten Jahre. Betroffen sind im Corona-Jahr 2.144 Betten und circa 4.000 Stellen."

Bertelsmann-Stiftung und Co. verfolgen ihre Pläne weiter. Weiteren Krankenhäusern droht in 2021 die Schließung.

Impfungen:

Impfstoffe werden nach dem Marktprinzip verkauft. Wer viel zahlt, erhält viel. Als einen Grund für die gute Versorgung Israels mit dem Impfstoff nannte die Tagesschau, dass Israel 23 Euro pro Dosis zahlt gegenüber 12 Euro, die die EU zahlt.

(freitag, 3. 12. 2020): "Die reichen Länder sind dabei, sich große Mengen zu sichern. Nationen, die nur 13 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, haben sich schon die Hälfte der Produktion unter den Nagel gerissen. Das Nachsehen haben die Länder des globalen Südens, aber auch Nicht-EU-Staaten auf dem Westbalkan.

Biontech/Pfizer, um nur ein Beispiel zu nennen, hat von den 1,3 Milliarden Impfdosen, die 2021 produziert werden können, mittlerweile mehr als 570 Millionen an die EU und die USA verkauft, 1,2 Milliarden sind fest zugesagt. Schon im September hatten die USA, die EU, Australien, Großbritannien und die Schweiz Verträge über 5,3 Milliarden Impfdosen abgeschlossen, weitere 2,6 Milliarden gehen an Schwellenländer wie Brasilien, Indien oder China. Für alle übrigen bleibt die Restpfütze. Die von Covax Afrika zugesicherten 220 Millionen Impfdosen, die meist doppelt verabreicht werden müssen, sind für die 1,3 Milliarden Menschen umfassende Bevölkerung ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Ungerechtigkeit schreit zum Himmel, umso mehr als gerade Länder wie Brasilien, Bolivien oder Peru zu Testlaboren für Impfstoffe ausgebaut wurden und dort Menschen als Versuchskaninchen herhalten müssen."

Einem Minister fällt nichts besseres ein als Bettelei:

"Engagiert Euch für mehr Impfstoff für die Ärmsten!" Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) appelliert gegenüber der Rheinischen Post (Donnerstagausgabe) »insbesondere« an Coronakrisengewinner wie Amazon, Facebook oder Google.

Angesichts mangelnder Impfstoffe kommt die Diskussion in Gang:

Tagesschau, 21. 1. 21: "Ärzte ohne Grenzen etwa wirft den Konzernen vor, dass sie selbst inmitten einer globalen Pandemie "an ihrem Business-as-usual-Ansatz der Profitmaximierung" festhielten. Die Organisation erklärte, die Pharmaindustrie behaupte immer wieder fälschlicherweise, dass erst geistige Eigentumsrechte den Durchbruch für Covid-19-Impfstoffe und -Medikamente gebracht hätten. Tatsächlich seien aber Steuern in Milliardenhöhe und Geld von Stiftungen die Haupttreiber der beispiellosen Forschungsanstrengungen zu Covid-19, so Ärzte ohne Grenzen.

Suerie Moon vom Global Health Centre fordert Impfstoffe als "globales öffentliches Gut" zu teilen. Und weist darauf hin, dass die Forschungsgrundlagen für die schnelle Corona-Impfstoff-Entwicklung jahrzehntelang an öffentlich finanzierten Universitäten geschaffen worden seien."

Nicht nur bei der Impfstoff-Verteilung herrscht Ungleichheit:

"Corona verschärft die Armut", heißt es in Nachrichten, verschwiegen wird, dass Corona die Reichen reicher macht. Wer Armut beklagt, muss über Reichtum sprechen!

Börsenkurse Dax und DowJones auf Rekordniveau!

Aus einem Bericht der Tagesschau vom 29. 12. 2020: "Trotz der Pandemie haben wir ein großartiges Jahr hinter uns. Viele Leute haben einen Haufen Geld verdient - auch die Unternehmen. . . Diese Milliarden Dollar, die auf der Seite liegen, müssen investiert werden. Großartiges Jahr für Spekulanten."

Die andere Seite: Besonders Geringverdiener in Gastronomie im Handel in der Veranstaltungsbranche leiden, Kurzarbeiter müssen sich einschränken. Solo-Selbständige, Kulturschaffende, Honorarkräfte beklagen fehlende Perspektive.

Galeria-Kaufhof-Eigner Rene Benko lässt sich 200 Mio Euro Dividende auszahlen. Die Bundesregierung will ihm jetzt mit 460 Mio. Euro "helfen". 4000 entlassene Kaufhaus-Beschäftigte gucken in die Röhre.

BMW schüttete mitten in der Pandemie 1,6 Mrd. aus, schickte 30.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit und verlangte gleichzeitig Kaufprämien.

Zusammengefasst: Die Reichen werden reicher, die Armen zahlreicher.

Auch die Diskussion darüber kommt in Gang. Die Kritik wird lauter.

Der Oxfam-Bericht war Thema in Nachrichten-Sendungen.

Der Aufruf von 36 deutschen Gewerkschaften und Sozialverbänden "Soforthilfen für die Armen - jetzt" stellt die richtigen Forderungen.

Die ver.di-Petition für Mindestkurzarbeitergeld von 1200 € findet Zustimmung.

Sebastian Wertmüller von ver.di Braunschweig: "Der erneute Lockdown stellt Beschäftigte vor viele Herausforderungen: Kinderbetreuung aufgrund geschlossener Kitas, Anforderungen an ein „Homeschooling“ bei Erwerbstätigkeit und schlechten technischen und didaktischen Voraussetzungen, Infektionsgefahren in öffentlichen Verkehrsmitteln und am Arbeitsplatz etc. Er fordert, dass Betriebe und Verwaltungen im Dienstleistungsbereich zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um der Infektionsgefahr zu begegnen: „Es ist vernünftig, im privaten Bereich auf Distanz und möglichst wenige Kontakte zu achten. Das gilt für die Arbeitswelt aber auch!“

Die Corona-Krise verschärft die Ungleichheit im Bildungswesen.

Die Mängel im Bildungswesen - personell und materiell unzureichende Ausstattung - werden deutlicher.

Zu große Klassen, heruntergewirtschaftete Gebäude, in denen sich manchmal keine Fenster öffnen lassen. Kein Geld für Lüftungsanlagen . . .

Homeschooling verschärft die Bildungsungerechtigkeit. Kinder die in beengten Wohnverhältnissen leben, nicht über einen eigenen Computer verfügen, deren Eltern sie nicht ausreichend fördern können, werden "abgehängt".

Konzentration in der Wirtschaft wird beschleunigt:

Die absehbare Pleitewelle ist die eine Seite der Medaille, die andere sind die wachsenden überlebenden Unternehmen - wie in jeder Krise des Kapitalismus!

Ein Beispiel: Karstadt-Kaufhof macht Kaufhäuser zu - Amazon expandiert.

Die Pleitenwelle wird die Vernichtung vieler tausend Arbeitsplätze nach sich ziehen.

Anhaltende Kurzarbeit, angekündigter Personalabbau (Dresdner Bank, H&M) erzeugen Existenzangst.

Dies und die durch die Digitalisierung eintretenden Veränderungen (Stichwort Transformation)schaffen Verunsicherung, die durch die Pandemie verstärkt wird.

Eine kämpferische Metall-Tarifrunde unter diesen Bedingungen ist sehr kompliziert. (Dazu mehr in der Diskussion.)

Arbeitgeber machen mobil gegen Arbeitnehmer-Rechte

Erinnerung: Gruselkatalog von Gesamtmetall vom Mai 2020 . . . Stichworte daraus: Experimentierraum Arbeitszeit, Mütterrente und Rente mit 63 abschaffen, Mindestlohn-Dokumentationspflicht abschaffen usw.

H.J. Urban fasste das in der Veranstaltung der MESt am 21. 11. 20 so zusammen: "Die Unternehmen holen aus den Schubladen alte Rationalisierungs- und Ökonomisierungskonzepte raus, versuchen sie umzusetzen in der Hoffnung, dass die Gunst der Stunde genutzt werden kann und mittlerweile skandalös hohe Entlassungen oder Lohneinschränkungen Akzeptanz in der Gesellschaft finden, weil ja angeblich die große Krise das erfordert. Unter dem Deckmantel dieser allgemeinen Krisenwahrnehmung wird also versucht schlicht und einfach Klassenpolitik zu betreiben."

Die Coroan-Krise gefährdet demokratische Rechte

Unter dem Stichwort "Stunde der Exekutive" wird eine Verordnungspolitik praktiziert. Die Rechte der Parlamente werden missachtet.

Grundrechte sind eingeschränkt, in welchem Umfang das Bestand haben wird, hängt von uns ab.

Ungleichheit auch hier: Wer einen Privatjet hat, lacht über Einschränkung der Bewegungsfreiheit.

Es ist kein Wunder, dass angesichts der Planlosigkeit, der Widersprüchlichkeit der Anti-Corona-Maßnahmen der Regierungen, viele Menschen den Querdenkern nachlaufen.

Zu Corona-Protesten ein paar kluge Gedanken von Georg Rammer aus ossietzky 25/2020

"Verletzung der Grundrechte, Missachtung von Menschenrechten, Abbau der Demokratie: Da gibt es wahrlich Gründe für Protest und Widerstand. Armut und Ungleichheit, Privatisierung der Daseinsvorsorge, neuer Militarismus und Imperialismus, das Sterben der Flüchtlinge an der EU-Grenze, Zerstörung der Umwelt, systematische Manipulation und Überwachung, unmenschliche Arbeitsbedingungen ... Auch die zu Recht beklagte mangelnde Empathie und die Missachtung menschlicher Bedürfnisse kamen nicht erst durch Corona-Beschränkungen in die Welt. Wo spürte man Mitgefühl mit Kranken, als Kliniken privatisiert und kaputtgespart wurden? Waren die Zustände in Pflegeheimen human, bewirkte erst Corona die Kinderarmut? Wie oft hätte man sich Massendemonstrationen gewünscht bei der Aufdeckung der Steuerparadiese, der Privatisierung der Altersvorsorge und des Gesundheitswesens, der Auslieferung von Grundbedürfnissen an den Profit, der zielgerichteten staatlichen Zerstörung des Journalisten Assange! So lang Corona-Schutzmasken und Abstandsregeln die Hauptthemen bei Protesten bleiben, kann die Machtelite über die Pandemie als Ventil für »Widerstand« nur froh sein.

Das Virus wird besonders gefährlich in einem System, das Kapitalinteressen über die Bedürfnisse von Menschen stellt. So möchte man den (quer?)denkenden DemonstrantInnen zurufen: Leute, kämpft für die richtigen Ziele! Nicht gegen Maske und Abstandsregeln, sondern für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Frieden!"

Fortschrittliche Alternativen?

Hauptfrage: Wer zahlt die Rechnung? Das dämmert auch den Herrschenden: Helge Brauns Initiative gegen Schuldenbremse macht deren Sorgen über Bezahlbarkeit der Krisenfolgen deutlich.

  • Die Reichen zur Kasse bitten! Die konkreten Forderungen sind bekannt, Vermögensabgabe von 10 % bringt 360 Mrd. €, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, runter mit der Rüstung usw.
  • öffentliches Gesundheitswesen, keine Krankenhaus-Schließungen, Rückführung in öffentliches Eigentum.
  • Aufwertung sozialer Berufe - bessere Bezahlung, erträgliche Arbeitsbedingungen
  • öffentliche Gelder nur bei Beachtung sozialer und ökologischer Auflagen

"wo öffentliches Geld fließt muss öffentliches Eigentum entstehen und öffentliche Einflussnahme folgen.", fordert Urban und plädiert für Intervention in das "Investitionsverhalten der Unternehmen" und zieht die Schlussfolgerung: "wenn wir den ökologischen Wandel in der Produktion hinbekommen wollen, wird das nicht über profitorientierte Märkte geschehen können." (H.J. Urban, 21.11.2020)

Dafür braucht es Bewegung!

Es gibt Aktivitäten auf verschiedenen Gebieten: Forderung der 36 Verbände und Gewerkschaften, die ver.di-Petition, Aktionen von Krankenhaus- und Pflegebündnissen - jeder auf seinen Gebiet.

Die am stärksten Betroffenen, die in Kurzarbeit befindlichen, vom Jobverlust Betroffenen, in der Pflege schuftenden melden sich kaum zu Wort. Sie sind mit "dem Durchkommen" beschäftigt.

Widerstand wird eher gegen Auftreten rechter Kräfte geleistet, weniger für wirksame und gleichzeitig sozial gerechte Alternativen.

Für falsch halte ich die vom KV der DKP Hannover gezogene Schlussfolgerung, sich nicht an Protesten gegen Querdenker zu beteiligen. Auf Grundlage einer falschen politischen Analyse und Einschätzung der aktuellen Lage, der Gefahr des Faschismus, der "wirksamsten und gefährlichsten Rechtskräfte" wird eine falsche Schlussfolgerung gezogen. Protestiert die DKP Hannover jetzt nicht mehr gegen Faschisten unter dem Etikett "Querdenken"? Arbeiten wir nicht mehr mit Antifaschisten zusammen, die gegen faschistische Querdenker protestieren und deren soziale Demagogie entlarven wollen?

Ein Lichtblick: Die Petition Covid-Zero mit richtigen Forderungen. Entsprechend allergisch die Reaktionen der Herrschenden. Wenn es gegen Freiheit der Wirtschaft, gegen die Pharmakonzerne gegen die Reichen geht ist Schluss mit lustig.

Zu den Kontroversen um diese Petition: Sicher brauchen die Gesundheitsschutz-Maßnahmen in den Betrieben eine differenzierte Einschätzung - auch dort gibt es riesige Unterschiede, abhängig von der Stärke der Interessenvertretung. Sicher muss die Rolle des Staates eingeschätzt werden. Aber: ob der eine autoritäre oder demokratische Rolle spielt hängt vom politischen Kräfteverhältnis ab - eigentlich nichts Neues . . .

Wer kann etwas bewegen, über Protest hinaus?

Am ehesten die Beschäftigten des Gesundheitswesens, der Pflege - mit breiter gesellschaftlicher Unterstützung. Die Bedeutung eines leistungsfähigen Gesundheitswesens ist allen deutlich geworden. Die Betroffenheit ist allgemein. Die Beschäftigten haben eine politische Gewerkschaft und haben ihre Kampffähigkeit bewiesen. Ist das ein Ansatz?

Vorletztes: Was können KommunistInnen bewegen?

Über Klassencharakter von sog. Anti-Corona-Maßnahmen aufklären.

Alternativen darstellen.

Für gesellschaftspolitisch aktive Gewerkschaften einsetzen.

Breitest mögliche Bündnisse schmieden, für Vernetzung des Widerstandes einsetzen.

Letztes: Es wäre notwendig über die anhaltende Katastrophe - den Klimawandel zu reden. Der macht keine Pause. Das Thema sprengt den heutigen Rahmen. Ich empfehle dazu den Aufsatz von Klaus Dörre, "Lockdowns sind keine Klimaschutz" veröffentlicht auf dem Portal jacobin.

Er wäre ein guter Ausgangspunkt für eine interessante Debatte.

Corona ist Herausforderung für kommunistische Politik

Diskussionsbeitrag von Artur Moses auf der Videokonferenz des Netzwerkes Kommunistische Politik am 31.01.2021

(Bearbeitung im Sinne des gesprochenen Wortes)

 

Je länger die Pandemie dauert, zumindest nicht wirksam eingedämmt wird, je mehr wachsen Ängste, die Ungeduld und die Unzufriedenheit in der Mehrheit der Bevölkerung. Wie aktuelle Umfragen deutlich machen, nimmt die Zufriedenheit mit der Regierungsarbeit und deren Krisenmanagement von Woche zu Woche ab. Und zwar bei dem Teil der Bevölkerung und den Menschen, die keine Anhänger von Verschwörungstheorien oder ähnlichem sind, sondern die konsequentes und wirksames Handeln in der und gegen die Pandemie fordern.

Diese Unzufriedenheit hat viele Quellen: Erlebt wird eine widersprüchliche Politik der sog. Balance zwischen Schutz vor der Ausweitung von Corona einerseits und Wahrung und Sicherung wirtschaftlicher Interessen andererseits. Es gibt die Erfahrung, dass das Handeln nach neoliberalem Muster nicht nur sehr widersprüchlich ist, sondern das Problem mit der Pandemie und deren Folgen so nicht in den Griff zu kriegen ist.

Hinzu kommen die rasant wachsenden Ängste vor der Ausweitung der Wirtschaftskrise. Jeden Tag werden Erfahrungen mit Arbeitsplatzverlusten und der Vernichtung von Existenzen gemacht.

Neben immer größerer Betroffenheit erleben wir, wie Verzweiflung um sich greift, in deren Folge ein sehr widersprüchliches Verhalten und mit kontraproduktiven Erwartungen an die sogenannte Politik entsteht. Wir erleben auch, welche Resonanz Verschwörungstheorien in großen Teilen der Arbeiterklasse haben. Wir erleben, dass es vielerorts in den Betrieben und Verwaltungen keinen verantwortungsvollen und bewussten Umgang mit notwendigen Schutzmaßnahmen gibt.

Die Erkenntnis ist leider noch nicht entwickelt oder noch nicht weit verbreitet, dass die Interessen des großen Kapitals einer erfolgreichen Bekämpfung der Pandemie objektiv und auch subjektiv im Wege stehen und auch die Ursache der anderen Krisen ist.

Ich teile sehr die Sorge um die Zukunft der Gewerkschaften. Die große Gefahr von Mitgliederverlusten kann nicht einfach übersehen werden. Pandemie und Wirtschaftskrise schwächen die gewerkschaftlichen Machtressourcen. Krisenzeiten, die Arbeitsmarktlage und drohender Arbeitsplatzverlust verringern die Kampfbereitschaft und erschweren vor allem die Mobilisierung und die Durchsetzungskraft der Beschäftigten.

Ob die Gewerkschaften ohne massiven Machtverlust durch die Krise kommen, wird stark davon abhängen, ob es gelingt ihr politisches Mandat und die vorhandenen Möglichkeiten offensiv nicht nur für kleine, sondern für große Weichenstellungen zu nutzen. Zumindest diese als Themen mit Forderungen in die Waagschale zu werfen. Kollege Urban hatte dies ja auch sehr deutlich gemacht.

In dem auf Export fokussierten industriellen Bereich verschärft die Corona-Pandemie die schon zuvor bestandene mangelnde internationalen Nachfrage und die umfassende Krise auch der Autoindustrie. Immer deutlicher wird, dass nicht nur Klimaschutz und sozialere Mobilität, sondern auch die Sicherung von Beschäftigung in diesem Industriebereich einen sozial-ökologischen Umbau notwendig machen. (Im 1-Million-Einwohner-Land Saarland: arbeiten über 40000 Beschäftigte in der Automobilindustrie!)

Auch wenn solche großen Weichenstellungen aktuell nicht umsetz- und durchsetzbar erscheinen, sollten nicht darauf verzichtet werden, sie immer wieder zu benennen. Es wird keine große Zukunft für die Arbeit in der Automobilindustrie geben, wenn nicht entschlossen der sozialökologische Umbau auf die Tagesordnung gesetzt und darum gekämpft wird. Auch in und mit dem Hebel der Auseinandersetzungen um entsprechende Tarifverträge.

Wenn General Motors in der Krise Beatmungsgeräte und Volkswagen Atemschutzmasken herstellt, finden ja Ansätze von Konversion statt. Öffentliche Investitionen in Bus und Schiene wirken doch nach den aktuellen Erfahrungen in der Pandemie gar nicht mehr unrealistisch. Vor allem auch deswegen nicht, weil die Erfahrung gemacht wird, wie in der jetzigen Krise Finanzmittel in Milliardenhöhe locker gemacht werden. Und ist die Erfahrung mit den profitorientierten Manövern der Pharmakonzerne nicht eine gute Gelegenheit nach zu fragen, warum die staatliche Hilfen nicht mit Einfluss auf die Unternehmensstrategie verbunden werden. Es gibt Chancen die Vergesellschaftung der Pharmakonzerne in die Diskussion zu bringen.

Ihr erinnert euch sicherlich an das Interview in der UZ, das ich im vorigen Jahr mit dem Betriebsratsvorsitzenden von Saarstahl machen konnte. Für mich war es eine sehr anregende, bleibende politische Erfahrung wie der Betriebsrat von Saarstahl mit der Zukunftsfrage, die vor der Stahlindustrie steht, umgeht. Und kämpft. Für einen sozialökonomischen Umbau wurde mit Forderungen nach Brüssel marschiert, wo Mittel für strukturelle Umbaumaßnahmen in beträchtlichem Maße vorhanden sind, sowohl die Kanzlerin und die Landesregierung unter Druck gesetzt wurden. Es sieht so aus, dass es Mittel, wenn auch nicht ausreichend, geben wird. Ein kleiner Erfolg vielleicht für eine große Weichenstellung!

Wie schwierig das ist oder bleibt, zeigen auch die Ergebnisse einer Umfrage, wonach bei der Mehrheit der befragten Saarländer die Sicherheit von Arbeitsplätzen vor der Ökologiefrage rangiert. Das ist doch ein riesiges Problem!

Rainer Dörrenbecher wird sich in seinem Beitrag konkreter damit beschäftigen.

Tatsache ist, dass wir in einer sehr komplizierten und herausfordernden Phase der gesellschaftspolitischen Entwicklung global und auch im eigenen Land leben.

Die Corona-Pandemie selbst muss von uns als eine ganz große Herausforderung verstanden und behandelt werden. Dabei geht es nicht um die Frage, ob diese Pandemie überhaupt endgültig überwunden werden kann oder ob wir damit auf Dauer und mit deren Folgen leben müssen, sondern dann darum, wie wir damit leben können und die gesamte Menschheit damit leben kann.

So wie die Dinge nach wissenschaftlichen Erkenntnissen liegen, hat dies sehr viel mit dem Ringen um die Entschärfung der ökologischen Krise zu tun.

Dafür benötigen wir Positionen, auch Konzepte, vor allem aber auch Forderungen des Netzwerkes als bundesweites Signal.

Wir verstehen uns als Netzwerk für (!) kommunistische Politik.

Wenn die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement in der Corona-Pandemie weiter zunimmt, wenn sich die negativen sozialen Auswirkungen auch der anderen Krisen niederschlagen, dann taucht doch die Frage auf, wohin kann und wird sich dies alles orientieren? In Richtung Alternativen mit großen Weichenstellungen, nach links? Gelingt es, wie es sich in Zero Covid andeutet, für solche Weichenstellungen zu Allianzen zu solchen Fragen und darüber hinaus zu kommen? Oder endet alles in Frust, Niederlagen, Rückzug und Entpolitisierung, in einer Schwächung von Gegenwehr. Es zeigen sich zudem neue Spielarten rechter Demagogie, die nicht zu unterschätzen sind. Diese Klaviere werden schon gestimmt.

Die aktuelle Entwicklung, die Globalität und Vernetzung der Krisen, ist meiner Ansicht nach ein deutlicher Hinweis darauf, dass wir es mit komplexere Fragestellungen für unsere weitere Politik und unser Handeln zu tun haben.

Nur mit unserem politischen „Kerngeschäft“ werden wir dem nicht mehr gerecht werden und wird sich keine zukünftige, tragfähige und anregende Politik entwickeln lassen.

Als wichtige Bausteine sehe ich aktuell in der Corona-Krise:

Kommunisten müssen konsequent die Gefahren der Pandemie benennen und gegen Verschwörungstheorien auftreten, weil wir unsere Politik auf wissenschaftliche Erkenntnisse beziehen und stützen und damit Zusammenhänge weitgehend aufklären können. Das ist ein aktueller Beitrag gegen die Versuche, die Achse weiter nach rechts zu drehen. Dazu gehört natürlich auch die Skepsis und der Zweifel gegenüber den Darstellungen und Methoden der Herrschenden und die kritische Auseinandersetzung damit.

Wegen der Gefährlichkeit der Pandemie, ihrer globalen Ausbreitung mit ihrer hohen Ansteckungsgefahr sind Relativierungen, egal welcher Art, fehl am Platze.

Wir sind, wenn unumgänglich, für den Stopp aller nicht notwendigen Produktionen und Dienstleistungen, vor allem dort, wo Menschen in großen Mengen zusammen kommen.

Es geht um mehr demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten und Mitentscheidungsrechte vor allem der Arbeitenden in dem Kampf gegen die Pandemie, gegen die Politik der Anordnungen aus nicht demokratisch legitimierten Kreisen.

Die Verteilungsfrage muss in der gesellschaftspolitischen Debatte einen höheren Stellenwert bekommen, weil Gesundheit und Leben vor Profit und dem Anhäufen von Reichtum in den Händen weniger kommen muss. Die Gewinner auch dieser Krise haben Namen und Adressen. Es geht um die Zukunft der Arbeit und das zukünftige Leben. Dazu entwickeln sich viele konkrete Forderungen. Es gibt zunehmend Initiativen hierzu.

Nach vorne geblickt: Ich finde, wir benötigen mehr kollektive, konkrete Debatten zu diesen komplizierten Fragen in solch neuen Dimensionen von Krisen, die sich auf neue Weise miteinander verbinden.

Vielleicht gelingt dies mit Thesenpapieren als Grundlage von Diskussionen. Und wir sollten auch immer den Blick auf das Wirken von anderen kommunistischen Parteien haben und versuchen daraus zu lernen.

Zum Andenken an Willi Gerns

Zum Andenken an Willi Gerns

Ein Nachruf von Georg Polikeit für das Netzwerk kommunistische Politik

Es war nur wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag. Da verstarb am 25. Januar 2021 in Bremen mit Willi Gerns ein (west)deutscher Kommunist, dessen Leben durch große Gradlinigkeit, durch unermüdliche Bereitschaft zum persönlichen Engagement, durch ein hohes Maß an theoretischen Erkenntnissen, aber auch durch praktische Erfahrungen in gewerkschaftlicher und politischer Arbeit gekennzeichnet war.

Am 13. Dezember 1930 in einer Arbeiterfamilie in Hannover geboren, gehörte er zu der Generation junger Männer und Frauen, die im Alter zwischen knapp 15 und 18 Jahren den Zusammenbruch des Nazi-Regimes, das Ende des zweiten Weltkriegs, die Befreiung Deutschlands von der Nazi-Diktatur erlebten. Für viele von ihnen wie auch für Willi Gerns wurde die Devise „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ zu einer prägenden Leitlinie ihres Lebens. Sie wollten nach den grausamen Erfahrungen des Krieges und der faschistischen Terrorherrschaft den Aufbau eines neuen demokratischen und friedlichen Deutschlands, in dem Faschismus, Militarismus, Kriegsvorbereitung, Großmachtstreben und Rassismus für immer beseitigt sind.

Stattdessen begannen die herrschenden Kreise der USA aber im Verein mit denen der anderen westlichen Siegermächte und mit den in Westdeutschland wieder auftauchenden Eigentümern und Managern der Großkonzerne und ihren politischen Handlangern unter Konrad Adenauer entsprechend ihrer antikommunistischen Grundhaltung den kalten Krieg gegen die Sowjetunion und die in Ost- und Südosteuropa sich entwickelnden „volksdemokratischen“ Staaten. Sein Kernstück in Europa war die Spaltung Deutschlands und die Einbindung Westdeutschlands in den USA-geführten Westblock, die Wiederaufrüstung Westdeutschlands und seine Eingliederung in die NATO.

Für Willi Gerns ergab sich daraus wie für viele andere seiner Generation das Engagement in der damaligen antifaschistischen Jugendorganisation, der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ), und in der KPD. Er beteiligte sich aktiv an der Bewegung vieler tausend junger Menschen gegen die Remilitarisierung, für die Bewahrung der Einheit Deutschlands auf einer antifaschistisch-demokratischen Grundlage. Da Willi nicht zu denen gehörte, die sich vor der Übernahme von Verantwortung scheuten, wurde er Mitglied des Zentralbüros der westdeutschen FDJ und ihres Sekretariats.

Willi führte seine Tätigkeit im Rahmen der FDJ auch weiter, nachdem die Adenauer-Regierung diese Jugendorganisation wegen ihrer Aktionen gegen die Wiederaufrüstung und für die Durchführung einer Volksbefragung gegen die Remilitarisierung bereits 1951 verboten hatte. Das hatte zur Folge, dass er 1955 verhaftet und von dem wegen seines scharfmacherischen Antikommunismus berüchtigten Landgericht Lüneburg zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Sein Ankläger war der spätere Generalbundesanwalt Buback, der vorsitzende Richter der Nazikriegsgerichtsrat Lenski, der während der Nazibesatzung im Elsass an Todesurteilen gegen französische Résistance-Kämpfer mitgewirkt hat.

Nach der Entlassung aus dem Gefängnis ging Willi zunächst zurück in die „Privatwirtschaft“. Er arbeitete u. a. bei den Vereinigten Leichtmetallwerken und bei den Pelikan-Werken in Hannover. In den Leichtmetallwerken wurde er zum Sprecher der Vertrauensleute der IG Metall gewählt. Als solcher war er auch an der Auslösung eines Warnstreiks beteiligt. Deshalb wurde er 1960 erneut verhaftet und zu weiteren fünf Monaten Gefängnis verurteilt, diesmal wegen Verstoßes gegen das KPD-Verbot und Beleidigung von Bundeskanzler Adenauer als „Arbeiterfeind“.

Willi Gerns war die Verkörperung des Satzes, dass es ohne politische Bildung, ohne revolutionäre Theorie auch keine revolutionäre Praxis gibt.

Schon im Sekretariat des FDJ-Zentralbüros war er für politische Bildungsarbeit zuständig und organisierte er die Herausgabe von Bildungsheften und anderen Publikationen zur Klärung von grundsätzlichen politischen Begriffen wie „Militarismus“ in Anlehnung an die entsprechenden Schriften von Karl Liebknecht oder auch zu geschichtlichen Themen. In diesem Rahmen lernte ich ihn in den frühen 50er Jahren auch persönlich kennen.

Im Gefängnis gelang es Willi, eine Genehmigung für das Studium marxistischer Werke zur Ökonomie und für eine gemeinsame Bearbeitung dieses Studienmaterials mit anderen politischen Häftlingen zu erreichen. Das war dem sozialdemokratischen Juristen Fritz Bauer zu verdanken, der damals für die Aufsicht über die Haftanstalt Wolfenbüttel zuständig war und später als Generalstaatsanwalt des Bundeslandes Hessen u. a. den Auschwitzprozess in Gang brachte.

Es verwundert also nicht, dass Willi Gerns in den 60er Jahren mit Freuden die Möglichkeit zu einem gründlichen Studium der marxistischen Ökonomie und der marxistischen Theorie generell in Moskau wahrnahm, eine Möglichkeit, die er zu diesem Zeitpunkt in der westdeutschen Bundesrepublik nie hätte bekommen können. Er beendete dieses Studium mit einem Abschluss als Diplom-Ökonom und zugleich mit einem Zertifikat als Russisch-Übersetzer für Wirtschaftswissenschaften. Das legte die Grundlage für seine gründlichen Kenntnisse der marxistischen Theorie, mit denen er später in der DKP die Verantwortung für die Vermittlung, Weiterentwicklung und kreative Anwendung dieser Theorie in der BRD der 60er und 70er Jahre übernehmen konnte. Dies verschaffte ihm sowohl innerhalb der Partei als auch über ihre Reihen hinaus große Achtung und Autorität auch unter Intellektuellen als eine aus der Arbeiterklasse hervorgegangene wissenschaftlich gebildete Persönlichkeit.

Willi war wie andere Genossinnen und Genossen aus „taktischen Gründen“ nicht von Anfang an Mitglied im allerersten Bundesausschuss der DKP unter Leitung von Kurt Bachmann, deren Neukonstituierung am 25. September 1968 in Frankfurt am Main bekanntgegeben wurde. Aber an der Ausarbeitung der ersten „Grundsatzerklärung der DKP“, die der erste DKP-Parteitag im April 1969 in Essen beschloss, war er bereits aktiv beteiligt. Seitdem spielte er eine führende Rolle bei der Ausarbeitung der programmatischen Grundlagen und der politischen Strategie der DKP. Das galt besonders für die Ausarbeitung der „Thesen des Düsseldorfer Parteitags der DKP“ im November 1971 und dann vor allem für die Erarbeitung des Parteiprogramms der DKP von 1978, das der Mannheimer Parteitag der DKP im Oktober 1978 nach langer innerparteilicher Diskussion verabschiedete.

Zu Willis Verständnis von marxistischer Theorie gehörte aber immer auch die Einsicht, dass diese Theorie keine Sammlung von ein für allemal feststehenden Lehrsätzen und Dogmen ist, die als Rezepte für die Erarbeitung einer richtigen „politischen Linie“ einfach nur “umgesetzt“ und angewendet werden müssen. Vielmehr ließ er sich von der Erkenntnis leiten, dass diese Theorie ständig überprüft und unter Bewahrung der von Marx, Engels und Lenin erarbeiteten wissenschaftlichen Grundlagen zu immer wieder neuen Auffassungen und Konzepten weiterentwickelt werden muss, weil auch die objektiven ökonomischen, weltpolitischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die Entwicklung der Produktivkräfte im modernen Kapitalismus und damit auch die Produktionsverhältnisse und die Arbeitsweise und Struktur der Arbeiterklasse und anderer Gesellschaftssichten sich ständig verändern.

Zu Willis bedeutenden persönlichen Verdiensten gehören in diesem Zusammenhang seine Mitwirkung und Förderung der Diskussion über die Strukturveränderungen in der Arbeiterklasse, die von dem in Frankfurt/M. angesiedelten „Institut für marxistische Studien und Forschungen“ (IMSF) unter Leitung von Josef Schleifstein und Heinz Jung betrieben wurde, und insbesondere seine maßgebliche Rolle bei der Erarbeitung der politischen Strategie der DKP, die in dem vom Mannheimer Parteitag verabschiedeten DKP-Parteiprogramm ihren Niederschlag fand.

Willi verfocht dabei in Auseinandersetzung mit reformistischen, aber auch „linksradikalen“ Ansichten in und außerhalb der DKP die Notwendigkeit von Übergangsetappen und Zwischenstufen auf dem Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft. Wichtig und dann auch in anderen kommunistischen Parteien stark beachtet war die zusammen mit Herbert Mies entwickelte Vorstellung von einer „antimonopolistischen Demokratie“ als einer möglichen Übergangsetappe vom Kapitalismus zum Sozialismus. Dementsprechend verband sich im DKP-Parteiprogramm von 1978 die Zielsetzung einer „Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt“ noch im Rahmen einer kapitalistischen Bundesrepublik mit dem Konzept einer Weiterentwicklung dieser „Wende“ zu einer „antimonopolitischen Demokratie“, bei der mit Hilfe starker außerparlamentarischer Massenbewegungen und entsprechenden Veränderungen auch im parlamentarischen Kräfteverhältnis die dominante Stellung des Groß- und Finanzkapitals in Staat und Gesellschaft bereits erheblich eingeschränkt ist, woraus sich dann im weiteren Verlauf der Kämpfe ein vollständiger Bruch mit den überkommenen kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnissen, eine sozialistische Gesellschaftsordnung ergeben könnte.

Willi begründete und untermauerte dieses strategische Konzept in mehreren Büchern und zahlreichen Artikeln und Interviews in den „Marxistischen Blättern“, in der UZ und anderen Publikationen, oft zusammen mit anderen Genossen. So in dem 1974 im damaligen Verlag „Marxistische Blätter“ in Frankfurt/M. zusammen mit Robert Steigerwald und Günter Weiß verfassten Buch „Opportunismus heute“, in dem neben einer Auseinandersetzung mit der der sozialdemokratischen Ideologie des „demokratischen Sozialismus“ auch eine kritische Auseinandersetzung mit „linkssozialistischen“ Ansichten, mit „Maoismus“ und „Trotzkismus“ enthalten ist. Das fand seine Fortsetzung in dem 1976 im gleichen Verlag erschienenen Buch von Willi Gerns und Robert Steigerwald „Für eine sozialistische Bundesrepublik – Fragen und Antworten zur Strategie und Taktik der DKP“, in dem insbesondere Fragen der Übergangsperiode und das Konzept der „antimonopolistischen Demokratie“ erörtert werden, und schließlich in dem 1979 veröffentlichen Buch von Herbert Mies und Willi Gerns „Weg und Ziel der DKP – Fragen und Antworten zum Programm der DKP“.

Gleichzeitig verfasste Willi Gerns in dieser Zeit bedeutende Schriften zu einzelnen Fragen der damaligen politischen und ideologischen Auseinandersetzungen, so seine wichtige Broschüre zum Verhältnis von Kommunisten und Pazifisten, die den Weg zu einem Bündnis und zur Zusammenarbeit von Kommunisten und Pazifisten in der Friedensbewegung weit öffnete. Oder die maßgeblich durch seine Beiträge geprägten, als „DKP-extra“ herausgegebenen Schriften „Linke Phrasen – rechte Politik“ (1975) und „Opportunismus unter linker Flagge“ (1976), die sich mit linksradikalen „K-Gruppen“-Strömungen und entsprechender Sekten-Mentalität auseinandersetzten.

Auch nach dem Zusammenbruch der „realsozialistischen“ Staaten in Europa einschließlich der UdSSR 1989/1992 blieb Willi Gerns wie viele andere DKP-Mitglieder bei der festen Überzeugung, dass der Kapitalismus trotz seines zeitweisen Sieges über den Versuch einer sozialistischen Alternative nicht das „Ende der Geschichte“ sein kann und wird., Er bleibt ein von grundlegenden Widersprüchen und immer wieder auftretenden Krisen verschiedenster Art gekennzeichnetes System, von dessen Fortexistenz enorme destruktive Wirkungen ausgehen, die eine lebensbedrohende Gefahr für die Zukunft der ganzen Menschheit und für die Fortexistenz des Lebens auf dem Erdball sind. Deshalb bleibt die Notwendigkeit der Ablösung dieses Systems durch ein anderes, nicht am Kapitalprofit, sondern am allgemeinen Wohl orientiertes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem unverändert eine unausweichliche Notwendigkeit. Dementsprechend beteiligte sich Willi maßgeblich an der Auseinandersetzung mit unter den Linken aufgekommenen „Erneuerer“-Strömungen, die illusionär an die Möglichkeit einer allmählichen Umwandlung des Kapitalismus in ein menschengerechteres System oder einen „human“ regulierten Kapitalismus ohne Bruch mit den alten Besitz- und Machtverhältnissen glaubten.

Zugleich ging es ihm aber um eine präzise kritische Untersuchung der Ursachen des Zusammenbruchs der sozialistischen Staaten und der daraus zu ziehenden Lehren für die Zukunft. Er sah es als keinesfalls ausreichend an, die historische Veränderung der Situation in der Welt nur mit der „Ungunst der Verhältnisse“ oder mit der Bosheit und Raffinesse des Klassenfeinds oder auch Verrätern in den eigenen Reihen zu erklären. Willi konnte und wollte die selbstgemachten inneren Ursachen für diesen Zusammenbruch nicht übersehen oder in ein stillschweigendes Vergessen verdrängen. Er kritisierte u.a. das „Schindluder“, das in den regierenden kommunistischen Parteien der sozialistischen Staaten mit dem Begriff der „Avantgardepartei“ betrieben worden ist, wie er sich aufgrund von unter Stalin eingeführten Praktiken in der kommunistischen Bewegung weit verbreitete. Bekanntlich wurde daraus ein uneingeschränkter Führungsanspruch und eine „Allwissenheit“ der Partei“ abgeleitet, die zur „Bevormundung des ganzen gesellschaftlichen Lebens“ führte, was „wesentlich zur Entfernung der Partei von den Massen und damit zur Niederlage des realen Sozialismus beigetragen“ hat.

Selbstkritisch betrachtete Willi auch die Art und Weise, in der die DKP ihr Verhältnis zu den realsozialistischen Staaten darstellte. In dem Bestreben, die massive antikommunistische Propaganda in der BRD zurückzudrängen, habe die DKP i nach dem Motto gehandelt „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“. Nach diesem Motto habe sie sich darauf beschränkt, nur die positiven Seiten des „realen Sozialismus“ hervorzuheben, wie das kostenlose Bildungswesen für alle, die kostenlose Versorgung im Krankheitsfall, die niedrigen Mieten oder die garantierte Sicherheit der Arbeitsplätze, aber die Schwierigkeiten und Mängel bei der Entwicklung des Sozialismus zu verschweigen und zu verdrängen versucht. Offensichtlich hielt Willi dies für einen schweren Mangel unserer „Sozialismus-Propaganda“, der ihre Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit stark behinderte.

Auch als Willi 1988/89 seine Funktion im Präsidium und Sekretariat des Parteivorstands als Verantwortlicher für marxistische Theorie und Bildung nach fast 20 Jahren Tätigkeit auf diesem Gebiet abgab, wirkte er weiter durch zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Zeitungen zu aktuell-politischen und neu aufkommenden programmatisch-theoretischen Fragen am Erhalt und der weiteren Entwicklung der DKP mit. Er war ein geschätzter Berater der nach 1989 in der DKP gewählten neuen Parteiführung unter Heinz Stehr und Rolf Priemer, auch wenn ihre Ansichten zu neuen Fragestellungen nicht immer harmonierten. Als Mitglied des Herausgeberkreises und der Redaktion der „Marxistischen Blätter“ trug er durch Ratschläge wie auch durch eigene Autorenbeiträge wesentlich zu deren positiver Entwicklung als qualifizierte und über die Reihen der DKP hinaus anerkannte marxistische Zeitschrift in der heutigen BRD bei.

Noch wenige Wochen vor seinem Tod engagierte sich Willi Gerns gegen linksradikale Verengungen kommunistischer Politik. So gegen die in dem unlängst herausgegebenen DKP-Bildungsheft zum „reaktionären Staatsumbau vertretene oder zumindest nahegelegte Ansicht, dass der Kampf gegen die Rechtsentwicklung und um Demokratie den Kampf für die Beseitigung des Kapitalismus einschließen muss und Bündnisbewegungen in dieser Frage zu kritisieren sind, wenn sie aktuell den Kampf um die Bewahrung der im Grundgesetz verankerten bürgerlich-demokratischen Staatsordnung in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stellen und weitergehende, das kapitalistische System angreifende Forderungen nicht zu ihren Inhalten gehören.

Ebenso wandte er sich noch in einem Leserbrief, der am   in der UZ veröffentlicht wurde, gegen eine linksradikale Verengung in der Friedenspolitik. Wer von der Friedensbewegung fordert, dass ihr Kampf für den Frieden mit dem „Kampf gegen die Interessen des deutschen Monopolkapitals“ verbunden sein, also mit dem Kampf um die Überwindung des bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems gekoppelt sein muss, habe „das Wesen demokratischer Bündnispolitik nicht verstanden“, schrieb er. Denn diese bedeute „Übereinstimmung und gemeinsames Handeln in den Hauptanliegen des Bündnisses bei Respektierung unterschiedlicher Positionen der Partner in anderen politischen Fragen“

Sicher ist dieser Einspruch Willis gegen linksradikale Verengungen kommunistischer Politik nicht nur für die Friedensfrage gültig. Er gilt , wie schon oben ersichtlich, ebenso für den Kampf um die Verteidigung der Demokratie gegen die Rechtsentwicklung und das aktuell als Spitze besonders gefährliche Anwachsen von rechtsradikalen, reaktionären, fremdenfeindlichen und rassistischen Stimmungen, wie sie sich besonders in der AfD verkörpern. Er gilt ebenso für die Bewegung und Bündnisse für Klima- und Umweltschutz, für die Verbesserung des Gesundheitswesens, den Ausbau des Kliniknetzes und die Aufstockung des darin beschäftigten Personals und seiner Entlohnung in Zeiten der Pandemie. Er gilt ebenso für soziale und gewerkschaftliche Bewegungen und Aktionen zur Verteidigung und Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen.

Wir ehren das Andenken von Willi Gerns am besten, indem wir in seinem Sinn weiter an den aktuell vor sich gehenden Klassenkämpfen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mitwirken und zur Entwicklung breiter Bündnisse gegen die etablierte Politik beitragen und uns in diesem Rahmen dann auch um die Entwicklung von Bewusstsein über die Notwendigkeit grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen, eines Systembruchs und eines Systemwechsel zu einer solidarischen, am Wohl der großen Mehrheit der Menschen orientierten Gesellschaft bemühen.

Dazu gehört auch, dass wir Willi Gerns umfangreiche theoretisch-programmatische Arbeiten nicht nur loben, sondern wieder neu lesen und studieren, um Theorie und Praxis im marxistischen Sinn ohne Kluft miteinander zu verbinden.

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