Aus dem Archiv: 1988, Herbert Mies zur 20-jährigen Geschichte der DKP

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21.01.2018: Am 28.4.1988 hielt Herbert Mies vor Kreisvorsitzenden des Bezirk Rheinland-Westfalen einen Vortrag zur 20-jährigen Geschichte der DKP.

Einige Gedanken zur 20jährigen Geschichte der DKP

I.) Vorbemerkungen

Es versteht sich, dass ich hier nicht als Historiker spreche und schon gar nicht als Parteihistoriker, sondern ich möchte einige Gedanken zur 20jährigen Entwicklung der DKP darstellen. Keine Chronik, keine Geschichte aber auch keine Geschichtchen.
Einige Vorbemerkungen dazu, von welchen Prämissen ich mich leiten lasse, solange es keine parteioffizielle Geschichtsbeurteilung der 20 Jahre DKP-Arbeit gibt. Ich werde mich dabei bemühen, mich des Subjektivismus zu enthalten.

Erste Vorbemerkung:

Im marxistischen Verständnis ist - ganz verkürzt gesagt - Geschichte der objektive, einheitliche und trotz seiner Vielfalt gesetzmäßige Entwicklungsprozess der menschlichen Gesellschaft. Er ist das Ergebnis der produktiven Arbeit der Volksmassen und ihrer politischen, kulturellen und geistigen Handlungen. Triebkraft der Geschichte ist der Klassenkampf. Die Menschen machen ihre Geschichte - wie immer sie auch ausfalle - indem jeder seine eigenen, bewusst gewollten Zwecke verfolgt. Die Resultante dieser vielen in verschiedene Richtungen agierenden Willen und ihrer mannigfachen Einwirkungen auf die Außenwelt ist eben die Geschichte. So schrieb es Karl Marx.

So versteht sich die 20jährige Geschichte der Partei auch nur auf der Grundlage und im Zusammenhang mit der historisch-materialistischen Wechselbeziehung von gesellschaftlicher, ökonomischer, politischer Wirklichkeit und Entwicklung mit den Klassenkämpfen, mit der Entwicklung der anderen Abteilungen der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung sowie anderer fortschrittlicher Bewegungen, mit dem bewussten Wirken aller Kommunistinnen und Kommunisten in der Gemeinschaft der Partei und in ihrer Individualität. Mit dem Wirken kommunistischer Persönlichkeiten sowie dem Wirken der bundesdeutschen Kommunisten und ihrer Partei als Teil der kommunistischen Weltbewegung.

Ich bitte um Verständnis, dass ich all diese Prämissen zwar beachten möchte aber in einem so kurzen Vortrag nur skizzenhaft und nicht allseitig darlege bzw. da und dort nur andeute.

All das auszuführen ist die Sache von Historikern unserer Partei.

Die zweite Vorbemerkung:

Der 20. Jahrestag der Konstituierung einer legalen kommunistischen Partei fällt nahezu mit zwei weiteren Jubiläen zusammen: dem 70.Jahrestag der Gründung der KPD und dem 40. Jahrestag der Gründung der DDR und der Bundesrepublik, beider deutscher Staaten. Wenngleich die DKP nicht die einfache, bloße Fortsetzerin der illegalen KPD ist, sondern sehr viel neue Züge aufzuweisen hat, so ist aber auch ihr geschichtlicher Ausgangspunkt das Jahr 1918/19, das Geburtsjahr der KPD. Die Geschichte der DKP ist Teil, wenn auch ein spezifischer Teil der 70-jährigen Geschichte der kommunistischen Partei. Wenngleich die DKP erst seit 20 Jahren in der 40 jährigen Geschichte der Bundesrepublik, der Existenz zweier deutscher Staaten auf deutschem Boden wirkt, so ist aber dennoch in sie der Beitrag der Kommunistinnen und Kommunisten im Westen Deutschlands, dann in der Bundesrepublik seit 1945 eingegangen.

Die 20jährige Geschichte der DKP ist, wenn auch ein spezifischer, so doch ein Teil des Werdens und der Entwicklung der Bundesrepublik insgesamt. Und ich. bitte wiederum um Verständnis, dass ich dies zwar beachte, aber die Zusammenhänge hier nicht ausführen kann.

Und die dritte Vorbemerkung:

Wir befinden uns inmitten einer Zeit des Umbruchs, qualitativer Veränderungen in der Welt, in der sozialistischen wie in der kapitalistischen, in unserem Land, in seiner Arbeiterbewegung und auch in unserer: Partei. Die Bestimmung der Rolle und der Identität aller politischen Kräfte - so auch unserer - gründet sich immer auch auf deren geschichtlichen Ursprung, auf deren geschichtliche Entwicklung, denn niemand kann und will aus seiner Geschichte aussteigen. Aber alle politischen Kräfte, so auch unsere Partei, müssen die Geschichte und ihre Lehren aufarbeiten und dies im Interesse der Suche nach Wegen in die Zukunft.

Für die Gestaltung der Gegenwart und Zukunft gehen von den revolutionären Umgestaltungsprozessen, von Perestroika und Glasnost in der Sowjetunion qualitativ neue Impulse für die Aufarbeitung der Geschichte, sowohl der KPdSU wie auch der ganzen internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung,- so auch unserer Partei aus. Ihr Wesen hat meiner Meinung nach Gorbatschow am treffendsten in seiner Rede zum 70. Jahrestag der Großen sozialistischen Oktoberrevolution mit folgenden Worten getroffen:

"Vergangenes muss mit dem Gefühl der historischen Verantwortung und auf der Grundlage der historischen Wahrheit bewertet werden. Dies muss erstens deshalb geschehen, weil jene Jahre für die Geschicke unseres Staates und die Geschicke des Sozialismus von immenser Wichtigkeit sind. Zweitens deshalb, weil diese Zeit Gegenstand langjähriger Diskussionen ist, sowohl in unserem Land, als auch im Ausland, wo nicht nur nach Wahrheit geforscht, sondern nicht selten auch versucht wird, den Sozialismus als neue Gesellschaftsordnung und als reale Alternative zum Kapitalismus zu diskreditieren. Und schließlich deshalb, weil wir eine wahrheitsgetreue Einschätzung dieses und aller anderen Zeitabschnitte unserer Geschichte brauchen, besonders heute, da wir vor einem neuen Aufbruch stehen. Wir brauchen sie nicht, um politisch abzurechnen oder alte Wunden aufzureißen, sondern um all das Heroische der Vergangenheit nach Gebühr zu würdigen und aus den Fehlern und Irrtümern zu lernen.“

In Anlehnung an diese Gedanken und ihre Übertragung auf die 40 Jahre Bundesrepublik, auf uns bundesdeutsche Kommunistinnen und Kommunisten und insbesondere auf die 20jährige Geschichte der DKP, möchte ich sagen:

Wir wollen und müssen mit dem Gefühl der Verantwortung unsere eigene Geschichte aufarbeiten. Wir wollen und müssen dies erstens, weil uns diese Zeit, die in den Endsechzigern mit einem Umbruch und einem neuen Aufbruch und ihren neuen Chancen aber auch neuen Fragestellungen begann, Aufschluss darüber gibt, ob wir unserer Rolle, unserer Aufgaben- und Zielstellung gerecht wurden. Diese Periode erteilt Lehren, deren Beherzigung für die Bewältigung der Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben der Partei sehr entscheidend sind.

Noch einen Gedanken dazu:

In der Konstituierungszeit der DKP, in der sich unsere Partei legal in die politischen und sozialen Auseinandersetzungen und Bewegungen hineinbegab, bekannten wir uns dazu, dass wir zugleich einen Lernprozess durchmachten. Heute, da wir vor einem Umbruch und einem neuen Aufbruch neuer Qualität und neuer Dimension stehen, befinden wir uns wieder in einem großen Lernprozess. Also: wer seine Geschichte und ihre Wahrheit nicht kennt, erschwert sich selbst den Blick und den Weg in die Zukunft.

Wir wollen und müssen mit dem Gefühl der Verantwortung unsere Geschichte aufarbeiten, weil zweitens diese Zeit, die letzten 20 Jahre Gegenstand von wissenschaftlichen und zum Teil auch emotional geführten Diskussionen und Auseinandersetzungen über die 68er Bewegung, die Rolle und Entwicklung der Linken, die Rolle und Entwicklung unserer Partei draußen im Land, in der Partei und insbesondere in den mit uns freundschaftlich verbundenen Jugendorganisationen geworden ist. Aus dieser Diskussion, soweit ihr wirklich wissenschaftlich fundierte Wahrheiten zugrunde liegen, gehen wirklich neue Erkenntnisse und wirklich neue Lehren hervor. Aus ihr kommen aber auch unbegründete, die geschichtliche Wahrheit missachtende Beurteilungen, Urteile oder gar Verurteilungen heraus. Unsere Pflicht ist, die geschichtlichen Wahrheiten ungeschminkt darzutun und daraus die Lehren zu ziehen. Das schließt auch die Zurückweisung oder die Auseinandersetzung mit geschichtlichen Diskriminierungen unserer Partei auf dem Wege der Darstellung wahrhaftiger Argumentation, Tatsachen und Parteilichkeit ein.

Wir wollen und müssen mit dem Gefühl der historischen Verantwortung Geschichte aufarbeiten, weil wir drittens die wahrheitsgetreue Einschätzung unserer eigenen Geschichte besonders heute brauchen, da wir inmitten einer öffentlich geführten Parteidiskussion über die neuen Herausforderungen und unsere Antworten darauf stehen und wir uns nicht ungewollt von unserer Vergangenheit einholen lassen dürfen. Wir wollen uns nicht nur einholen lassen, sondern wir müssen unsere Vergangenheit in diese Diskussion hin einholen.

Und nicht zuletzt brauchen wir die Aufarbeitung unserer Geschichte als unseren Beitrag zur Erfüllung der Erwartungen, die die Beratung der Prager Zeitschrift "Probleme des Friedens und Sozialismus" mit Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien ausgedrückt hat: die Aufarbeitung der Geschichte der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung.

Wir brauchen die wahrheitsgetreue Aufarbeitung der Geschichte, vor der wir bundesdeutsche Kommunistinnen und Kommunisten uns nicht zu ängstigen brauchen, nicht um politisch abzurechnen, sondern um die Leistungen der Vergangenheit gebührend zu würdigen, aus Fehlern und, wenn wir Irrtümer begangen haben, auch aus Irrtümern zu lernen. Diesem Geist entsprechend an unsere eigene Geschichte herangehend, möchte ich in meiner Sicht als erstes feststellen:

Wir Kommunistinnen und Kommunisten, die wir uns in den 20 Jahren Existenz der DKP in einer Partei zusammengefunden haben, in einer Kampfgemeinschaft zusammengefunden haben, können - und ich sage das ganz bewusst - stolz auf das sein, was wir in den Kampf um eine friedliche, demokratische und sozial gerechtere Entwicklung unseres Landes, in die Arbeiterbewegung und ihre Kämpfe, in die Entwicklung der Friedensbewegung, ja auch in die politische Veränderung der Landschaft der Bundesrepublik und auch in die Entwicklung unserer revolutionären Partei in einem der hochindustrialisiertesten Länder eingebracht haben.

Genossinnen und Genossen! Ich sage ganz bewusst "Stolz" und doch nicht "Zufriedenheit" oder gar "Selbstzufriedenheit". Ich sage ganz bewusst "Stolz" und meine damit keineswegs "Verdrängung von Schwächen, Irrtümern oder Fehlern".

II. Richtigkeit und Erfolg im wesentlichen

Mit berechtigter Genugtuung können wir alle darauf schauen, dass wir im wesentlichen eine richtige und auch erfolgreiche Politik für die Bundesrepublik und ihre Arbeiterbewegung entwickelt haben. Das mache ich an folgendem fest:

1.) Von der Darstellung unserer ersten politischen Konzeption, genauer oder vielleicht auch einschränkend gesagt, von der ersten Darlegung unserer für Frieden, für Abrüstung, für soziale Rechte entwickelten Politik bis zum heutigen Tag, erlebten wir und erleben, wie andere politische und gesellschaftliche Kräfte sich sehr viele Elemente unserer Politik zu eigen gemacht haben, aufgegriffen haben. Das ist ein beachtenswerter Erfolg, wenn auch daraus insbesondere nach dem Wiedereintritt der SPD in die Opposition und nach der Entstehung der GRUNEN zugleich das Problem entstanden ist, dass wir es vor allem mit Beginn der 80er Jahre permanent damit zu tun hatten und haben, in diesem Erfolg um die Entwicklung unseres eigenen Profils und darum zu ringen, genau herauszuarbeiten, wodurch wir uns von den anderen progressiven Kräften unterscheiden. Aus einem strategischen Erfolg wuchs und wächst ein neues und für uns noch nicht bewältigtes Problem heraus! Nämlich: in dem Erfolg, im Wirken unserer Politik auf andere Kräfte, uns selbst mit dem entsprechenden, sich von anderen abhebenden Profil weiterzuentwickeln.

2.) Ich mache die Feststellung, dass wir im wesentlichen eine richtige und auch erfolgreiche Politik für die Bundesrepublik und ihre Arbeiterbewegung entwickelt haben, zweitens an folgendem fest: Wir haben beachtlich dazu beigetragen, dass aus der Bundesrepublik, die eine Bastion des kalten Krieges und die Speerspitze gegen den Sozialismus war, ein Land geworden ist, von dem nicht mehr nur Kriegsgefahr ausgeht, sondern, das mit einer starken Friedensbewegung und mit einer bemerkenswerten Kraft und Tendenz auch Entspannungs-, Koexistenz- und Friedensimpulse sendet und ausgibt. Der deutsche Imperialismus ist, seiner Natur gehorchend, nach wie vor reaktionär und aggressiv, aber er ist nicht mehr der aggressivste Teil des Weltimperialismus in der Frage Krieg/Frieden. Oder genauer gesagt: bedeutende, den bundesdeutschen Imperialismus repräsentierende Teile der Großbourgeoisie von Wirtschaft und Finanz gehören nicht zu den aggressivsten Flügeln des Weltimperialismus. Das ist ein beachtlicher geschichtlicher und strategischer Erfolg, auch dann, wenn wir ihn mit anderen friedlichen und demokratischen Kräften und mit den sozialistischen Ländern und mit den Ländern der 3.Welt teilen.

Ich will keinen Ausflug weiter zurück in die Geschichte machen. Aber: von deutschem Boden gingen die beiden Weltkriege unseres Jahrhunderts aus. Die Ursache war nicht zuletzt die besondere Aggressivität des deutschen Imperialismus. Den deutschen Imperialismus konnten wir auch in den 20 Jahren nicht überwinden. Aber unsere strategische Orientierung, den aggressivsten Flügel zurückzudrängen, wohlgemerkt: "zurückzudrängen", das ist uns, wenn auch nicht unumkehrbar, in ganz beträchtlichem Maße gelungen. Das ist übrigens eine der Grundlagen, die man im Auge haben muss, wenn man über die Möglichkeiten nachdenkt, den deutschen Imperialismus mit Erfolg "friedensfähig" zu machen. Dazu gehört dieser historische Hintergrund.
Nun möchte ich nicht in den Verdacht kommen, das sozusagen mit Hosianna zu sehen und alles, was an Gefahren vom deutschen Imperialismus nach außen wie nach innen immer noch ausgeht, etwa zu unterschatzen. Aber es gilt ja, bestimmte geschichtliche Tendenzen und Tatsachen herauszuarbeiten.

3.) Ich mache Richtigkeit und Erfolg unserer Politik weiter fest an folgendem:

Von einer früher vorhandenen , nahezu totalen Ausschaltung von uns Kommunisten aus den Gewerkschaften, von einem nahezu bloßen Auftreten der Kommunistinnen und Kommunisten als "nur linke" Leute oder "linkssozialistisch angehauchte" Leute, von diesem Ausgangspunkt haben wir uns in die Akzeptanz innerhalb der Gewerkschaft hineingearbeitet, die allerdings nicht widerspruchsfrei ist. Das ist ein wirklich großer Erfolg. Auch da übersehe ich nicht das Hin und Her, die Gegentendenzen.

Nicht zuletzt verdanken wir dies der wirklichen Aufarbeitung vorausgegangener Geschichte unseres Beitrages, den wir in die Gewerkschaften hineingebracht haben und einer völ1igen Hinwendung zu dem Kampf um den Erhalt der größten Errungenschaft unserer Arbeiterbewegung nach 1945: der Einheitsgewerkschaft. Und das mit aller Konsequenz.

4.) Viertens mache ich Richtigkeit und Erfolg unserer Politik fest an einer Reihe von Bewegungen, in denen wir als initiierende, organisierende und auch als einigende Kraft wirken. Ich glaube, das kann man mehr oder weniger mitvollziehen. Auch da sehe ich sehr wohl die Widersprüchlichkeit und die sich daraus ergebenden Probleme, die sich in der Partei darstellen, als eine permanente Diskussion über das Verhältnis Partei/Bewegung, "Partei" zum Teil in engem Sinne, "Bündnisarbeit" in weitem Sinne ... bis hin zu den Problemen eines möglichen Aufgehens der Partei in den Bewegungen.

5.) Fünftens mache ich Richtigkeit und Erfolg unserer Politik fest an der Schaffung und Entwicklung von mit uns befreundeten Jugendverbänden. Die Jugendverbände begehen in der nächsten Zeit ihre eigenen Jahrestage, die SDAJ früher als der MSB Spartakus. Ich möchte ganz deutlich machen: es war und ist eine große Leistung, hier in der Bundesrepublik zwei Jugendverbande aus der 68er Bewegung heraus formiert zu haben, die,- bei allen Schwächen und momentan auch da und dort desolater Erscheinungen- alles in allem ein beträchtlicher Faktor unter der fortschrittlichen Jugend unseres Landes sind.

6.) Wir haben die DKP auf klaren politischen und ideologischen Positionen entwickelt. Ich übersehe dabei gar nicht die gegenwärtige Situation.

7.) Nicht zuletzt mache ich Richtigkeit und Erfolg fest, an der Stellung unserer Partei in der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung und darüber hinaus in der antiimperialistischen Bewegung . Von der bloßen Beobachterrolle, die der DKP noch bei der 69er Konferenz zugebilligt worden war, bis hin zu einer sehr geachteten Stellung, die unsere Partei heute unter allen Abteilungen der Arbeiterbewegung, in allen Regionen der Welt einnimmt. Dies ist auch eine Bestätigung unserer im wesentlichen richtigen und erfolgreichen Politik.

III.) Gedanken über Defizite und ihre Ursachen

Was haben wir, bei Würdigung all unserer Leistungen, in diesen 20 Jahren nicht geleistet? Was konnten wir nicht leisten? Oder was ist durch unterentwickelte Fähigkeiten nicht geleistet worden?

Ich will keine umfassende Analyse geben. Ich will an dieser Stelle nur einige Gedanken andeuten.

Das, was wir nicht geleistet haben, sehe ich immer auch auf dem Hintergrund, dass der Konstituierung einer legalen kommunistischen Partei die Notwendigkeit zugrunde lag, alles, aber auch alles dafür zu tun, aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik eine kommunistische Partei nicht hinauskatapultieren zu lassen.

Mit anderen Worten gesagt: dem permanenten Anzweifeln der Existenzberechtigung einer kommunistischen Partei hier in einem Land wie der Bundesrepublik, der permanenten Infragestellung ihrer Notwendigkeit liegt ja die strategische Absicht der Bourgeoisie zugrunde, mit dieser Bundesrepublik den Nachweis zu erbringen, dass eine kommunistische Partei in einem hochentwickelten kapitalistischen Land keine Existenzberechtigung hat, überflüssig ist wie ein Kropf.

Wir standen bei der Konstituierung der Partei und stehen heute immer noch unter dem permanenten Druck der Erbringung eines Beweises unserer Notwendigkeit und Existenzberechtigung. Ich stelle das deshalb voran: das zwang und zwingt uns dazu, eben der Entwicklung der Partei als einer eigenständigen Kraft, als einer lebensfähigen Kraft, als einer sich entwickelnden Kraft ungeheuer große Aufmerksamkeit zu widmen und darauf viel Kraft zu verwenden. Auch mit der sich daraus ergebenden Problematik, dass oftmals der Blick zu sehr auf die eigene Kraft gerichtet ist und zu wenig nach draußen. Wie umgekehrt dann das Engagement draußen in Bewegungen auch leicht dazu führt, die Entwicklung der eigenen Kraft zu vernachlässigen.

Worin sehe ich das, was wir nicht geleistet haben?

1.) Wir glaubten, wenn auch nie schriftlich niedergelegt, dass wir bis 1980 eine parlamentarische Kraft sein werden. Wer das bisher noch nicht wusste, dem verrate ich das hiermit. Wir waren fest davon überzeugt und nicht nur wir, sondern auch andere politische Kräfte, insbesondere die internationale kommunistische und Arbeiterbewegung. Auch ich persönlich.

Wir haben das zwar nie verkündet, aber es war unsere Vorstellung.

Wir haben es nicht geleistet, zu einer parlamentarischen Kraft zu werden. Damit negiere ich nicht unsere Erfolge, aber daraus ergibt sich eine nach wie vor unbewältigte Problematik: die Entwicklung der Partei litt und leidet in der Öffentlichkeit wie bei uns selbst unter diesem ungelösten Widerspruch, außerparlamentarisch anerkannte Kraft aber parlamentarisch bedeutungslos zu sein. Dies hat sich verstärkt nach dem Einzug der Grünen in die Parlamente.

Wenn man sich fragt, wo lag und liegt da der springende Punkt, den wir vielleicht übersehen haben oder nicht richtig eingeschatzt haben? Ihr wisst, dass darüber die Diskussion kräftig angeheizt worden ist und angeheizt wird, durch das, was auf der Beratung in Prag gesagt worden ist, aber auch durch das, was uns in diesen Tagen die Entwicklung in Frankreich erneut deutlich gemacht hat.

Ich meine, dass einer der springenden Punkte nicht nur in objektiven Gründen bestand, sondern darin, dass wir keine klare strategische Konzeption für den Kampf um den Einzug in das Parlament hatten. Jetzt spreche ich nicht von dieser oder jener Wahlkonzeption, sondern davon, dass wir kein Gesamtkonzept hatten und keine ausgearbeitete Strategie far die Entwicklung auch von Wahlbündnissen. Ich mache das u.a. auch daran fest - ich will das nicht zitieren: wir hatten uns nach der ersten Bundestagswahl, an der wir uns im Rahmen der ADF beteiligt hatten - wenngleich dieses Wahlbündnis nicht den erwarteten Erfolg hatte- gelobt, weiterzumachen. Ich brauche hier nicht au sagen, wie es darum stand und steht. Wir haben das auf einer speziellen PV-Tagung im letzten Jahr versucht darzulegen, wenn auch nicht durch die Aufarbeitung aller geschichtlichen Erfahrungen.

2.) Zweitens haben wir nicht geleistet, über Bündnisse, über Aktionseinheit in Sachen Frieden und vielem anderen mehr zu einem echten und notwendigen Linksbündnis zu kommen, ein wirkliches Linksbündnis zu schaffen. In der Sicht von heute muss man sagen, dass wir diese Ansätze von 68 für eine große Chance zu einem Linksbündnis zu kommen, nicht haben weiterentwickeln können, obwohl es unser Wunsch war. Die Frage ist: hatten wir eine klare Konzeption mit dem Blick auf die sogenannte "neue Linke"? Ich glaube, für die tagespolitischen Auseinandersetzungen und dieses oder jenes, an aktuellen Fragen orientierte Zusammengehen hatten wir das schon. Aber eine Gesamtkonzeption? Daran hat es, glaube ich, gemangelt. Und auch an dem Beitrag, den wir Kommunisten, die DKP in die ganze Diskussion der damaligen Zeit eingebracht haben. Was war unsere Hauptleistung? Ja, wir haben in die ganze Strategiediskussion viel, viel eingebracht. Aber wir haben sie immer noch unter dem Eindruck und dem Druck einer sich eben formierenden legalen kommunistischen Partei gemacht, die sofort konfrontiert war mit der Entstehung einer Vielzahl anderer, sich kommunistisch nennender Gruppen. Unter diesem Druck waren wir zu sehr in eine Selbstbehauptungsposition gedrängt und hatten zuwenig strategischen Blick für die großen Chancen und Möglichkeiten.

Und ich glaube da liegt der springende Punkt - das muss man klarer herausarbeiten: aus der Selbstbehauptung heraus, die unumgänglich war für unsere Partei, aus der Konfrontation mit anderen, sich kommunistisch nennenden Gruppen- das war ja ein Novum! Und genau in der Konstituierungsphase! Und wo sich jede dieser Gruppierungen auf eine der zur Vielfalt gewordenen Strömungen in der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung stützen konnte! Wir waren plötzlich mit der Tatsache konfrontiert: es gibt nicht mehr nur ein Sozialismus- und Kommunismusbild, sondern eins Moskauer Prägung, Prager Prägung, rumänischer Prägung, chinesischer Prägung, albanischer Prägung und so weiter...Das war doch eine Situation, in der wir uns selbstbehaupten mussten, den Beweis erbringen mussten: wir sind die kommunistische Partei. Vom Wesen her sind wir das richtig angegangen.

In der Bundesrepublik gab es damals eine ernstzunehmende Strömung für das wirkliche Zusammengehen aller Linken. Wir wurden ein Teil von ihr, aber ich möchte sagen: es lohnt sich darüber nachzudenken, ob wir alle Chancen genutzt haben.

3.) Wir haben viel geleistet in der Aufarbeitung neuer Fragen, der Veränderungen sowohl auf theoretischem als auch auf politischem Gebiet. Aber wir haben auch einige neu aufkommende soziale, politische und geistige Strömungen unterschätzt bzw. sie als eine zeitweilige Erscheinung angesehen. Natürlich ist es richtig, dass wir darstellen, was wir alles in Ökologie- und anderen Fragen getan haben. Das akzeptiert jeder, das kann man nachweisen. Wir waren die ersten, die Bürgerinitiativen in Sachen Umweltschutz angeregt haben. Aber: dass sich da wirklich eine politisch-geistige Strömung, eine Grundhaltung entwickelt, das haben wir zu spät erkannt.

Das gilt auch für einige andere sog. neue soziale Bewegungen und in gewisser Hinsicht - nicht pauschal - auch für die Frauenbewegung, für feministische und andere Erscheinungen, die nicht vom Wesen reaktionär sind.

Wenn man sich da fragt, was ist da der springende Punkt, der uns am rechtzeitigen Erkennen hinderte, dann war das sicherlich auch die Tatsache, dass in dieser Problematik auch grenz- und systemüberschreitende Fragen lagen. Eine zweite Tatsache gehört dazu: in dem Bemühen, die Arbeiterklasse als die revolutionäre Hauptkraft, die Arbeiterbewegung als die führende Kraft klar herauszustellen und zu entwickeln, haben wir dieses dialektische Verhältnis von Arbeiterklasse/Arbeiterbewegung und neuer sozialer Bewegungen nicht oder erst viel zu spät gesehen und viel zu sehr gegeneinander gestellt.

4.) Wir hatten in der unmittelbar auf die Konstituierungsphase folgenden Zeit ein beachtliches kulturpolitisches Potential. Und wir waren in diesem Bereich sogar meinungsbildend und ein großer Faktor. Wir haben auch eine beträchtliche Zahl der Intelligenz in unseren Reihen. Aber es trat ein bestimmter Bruch ein in dem Verhältnis Partei/kulturelle Intelligenz.

Einen springenden Punkt sehe ich darin: ein Teil der Intelligenz in der Partei oder im Bündnis mit ihr ist im wesentlichen mit zwei Problemen nicht fertig geworden - und dem müssen wir mehr Aufmerksamkeit schenken:

Das erste: es dürfte nicht ganz unbekannt sein, dass ich Anfang der 70er Jahre nicht wenige Gespräche mit Martin Walser geführt habe. Für ihn war das Problem: Herbert, ich komme zu euch, wenn ihr eine hiesige Partei geworden seid. Wir verstanden uns natürlich immer als hiesige Partei, aber wir mussten uns in unserem Selbstverständnis natürlich auch hineinarbeiten in diese Bundesrepublik. Das zweite Problem: es begann sich Mitte der 70er Jahre eine geistige Strömung herauszubilden, die eine Richtung anstrebte, die jenseits des bestehenden Kapitalismus aber auch diesseits des realen Sozialismus lag. Also sozusagen eine vorweggenommene, von Teilen der Intelligenz formulierte Erscheinung. Da kamen eine Reihe nicht mehr mit der DKP zurecht und wir nicht mit ihnen und ihren Vorstellungen. Ich sage das mit allen Vorbehalten, weil man das ganz genau und exakt analysieren muss. Aber ich glaube, diese zwei Fragen gehören zu den entscheidenden Punkten.

5.) Ja, wir haben die Partei stetig weiterentwickelt. Aber wir haben es - vor dem Hintergrund der gesamten Entwicklung gesehen - nicht geschafft, diese oder jene Erfolge in eine wesentliche Erweiterung unserer Kräftebasis umzusetzen und zu organisieren. Die Partei entwickelte sich nicht zu einer Massenpartei, sondern zu einer Partei, deren Politik zwar auf die politische Entwicklung der Bundesrepublik und der verschiedenen Kräfte einwirkte, und deren nicht wenige Genossinnen und Genossen in Bündnissen und anderen Organisationen einen ganz beachtlichen Einfluss haben. Nun will ich nicht sagen, sie entwickelte sich zu einer Kaderpartei mit entsprechendem Einfluss, aber das, was sich dahinter verbirgt, muss wirklich aufgearbeitet werden. Und da meine ich, haben wir in der Tat in der Weiterentwicklung unsere Partei auf der Grundlage der 3.PV-Tagung, der vorletzten PV-Tagung (der 10.) noch viel zu leisten, um die großen Veränderungen umzusetzen, die sich objektiv vollziehen, die sich im subjektiven Faktor und auch in der Partei vollziehen.

Wie sich die Partei nach 20 Jahren Existenz darstellt, das haben wir auf den letzten Parteivorstandstagungen herausgearbeitet. Sie ist eine in vielen politischen und sozialen Auseinandersetzungen engagierte Kraft. Aber sie ist auch eine Kraft, die in eine sehr, sehr komplizierte politisch-ideologische und organisatorische Phase eingetreten ist.

Das, was ich bisher an Gedanken vorgetragen habe, ist keine Geschichte der Partei, sondern wie gesagt lediglich meine Gedanken dazu. Aber der Partei muss man Geschichtskenntnisse vermitteln! Der Partei muss man das konkrete geschichtliche Wissen, die konkreten Tatsachen vermitteln. Die Partei braucht nicht nur Gedanken zur Geschichte, sondern sie braucht echte, wahrhaftige Kenntnisse.

Wie ich das meine, will ich nun darstellen

Zur Entstehung der DKP: man soll nicht meinen, dass die Klarheit darüber vollständig ist. Darüber gibt es viel Richtiges. Es gibt aber auch viel ungereimtes, ich möchte sagen, auch unwissenschaftliches, das wiederum in jüngster Zeit wieder stark hochkommt. Ja es gibt auch Legenden. Und Legenden halten sich bekanntlich sehr, sehr lange, sind sie erstmal in die Welt gesetzt. Was ich zur Gründung, den Hintergründen, den Wesensmerkmalen zu sagen hatte, habe ich bereits in einem Beitrag vor zehn Jahren geschrieben, der damals - glaube ich - stand und nach wie vor steht in der Darstellung der objektiven und subjektiven Entwicklungen, die zur Gründung der Partei führten.

Die Gründung der DKP, die Neukonstituierung einer legalen kommunistischen Partei war das Ergebnis eines in der Tat neuen Denkens von uns damaligen Kommunisten und ihrer führenden Genossinnen und Genossen. Die Gründung der DKP, der SDAJ und des MSB war das wichtigste Ergebnis der durch die 68er Bewegung eingeleiteten Veränderungen in der Bundesrepublik.

Das sollten wir nie übersehen!

Ich habe viel Verständnis, für die ganze Ausleuchtung der damaligen Situation . Aber ich habe kein Verständnis dafür, dass Kommunistinnen und Kommunisten bei dieser oder jener Betrachtung vergessen, dass in der Tat das wichtigste Ergebnis der damaligen Bewegung die Formierung einer legalen kommunistischen Partei und zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik die Formierung eines marxistischen, mit den Kommunisten partnerschaftlich verbundenen Studentenverbandes und einer sozialistischen Arbeiterjugendorganisation war. Das können und dürfen wir Kommunisten doch nicht übersehen! Diese Feststellung ist ja noch gar keine Aussage darüber, ob in der damaligen Zeit schon alle richtigen Antennen ausgefahren waren, nach den verschiedenen anderen Veränderungen im Kräfteverhältnis. Aber das ist unser Ausgangspunkt. Wir müssen - und darum möchte ich auch ausdrücklich bitten - und können bei der Darstellung der Entstehungsgeschichte unserer Partei nicht vom Jahr-1968 ausgehen. Wir müssen von 1966 ausgehen, also vor den tatsächlich beginnenden Veränderungen.

Ich will darüber jetzt nicht ausführlich sprechen. Das ist alles nachlesbar. Da waren die aufkommende Studentenbewegung, die ersten großen Streiks der Arbeiterbewegung nach 1949, die Bewegung gegen den Vietnam-Krieg, gegen die Notstandsgesetzgebung....

Führende Genossen kamen damals, 1966, zu der Meinung:" Man muss mit Vehemenz und mit aller Kraft in diese Bewegungen die Forderung nach Aufhebung des KPD-Verbots hineinkriegen. Die Bundesrepublik braucht eine legal agierende kommunistische Partei!"

Wir hatten sehr wohl das Gespür dafür, dass der Zeitpunkt gekommen war: "Jetzt oder nie!" Und unter dem "nie" verstehe ich auch eine der Hauptsorgen, die wir hatten. Wenn es mit der Entwicklung der Partei unter illegalen Bedingungen so weiter gegangen wäre, dann hatten wir uns an fünf Fingern den Zeitpunkt abzählen können, wo wir nur noch als selbständig arbeitende Kommunistinnen und Kommunisten gewirkt hätten. Wir spürten: jetzt wird es auch für uns eine Überlebensfrage. Deshalb: "Jetzt oder nie!"

Wir begannen mit der Entwicklung der Kampagne der Verbindung aller Bewegungen bzw. damit, in alle Bewegungen den Gedanken einzubringen: Aufhebung des KPD-Verbots. Ihr wisst, dass uns die Aufhebung des KPD-Verbots nicht gelungen ist. Der eine oder andere weiß, dass nach wie vor die Legende kursiert, wir hatten unsere legale Partei einem Techtelmechtel von deutscher Sozialdemokratie und der italienischen kommunistischen Partei zu verdanken usw. usf... Das sind und bleiben alles Legenden!

Aber wichtig für die Partei ist - und damit werden wir jetzt auch in alle Öffentlichkeit treten - das immer wieder auch in diese Legende hineinspielende Gespräch der Verhandlungskommission für die Aufhebung des KPD-Verbots, für die Wiederzulassung.

Wir hatten den Initiativausschuss, der sich 1967 bildete und in dem Manfred Kapluck und einige andere Genossinnen und Genossen kräftig mitmischten, und wir hatten dann die Verhandlungskommission für die Aufhebung des KPD-Verbotes. Die Verhandlungskommission war ja am 8.Februar 1968 mit dem Entwurf eines neuen Programms der KPD in die Öffentlichkeit gegangen. Ich brauche das hier nicht zu schildern.

Was hat sich dann getan? Wir hatten festgelegt: Konfrontation aller Parteien der Regierung, des Staates mit der Frage "Aufhebung des KPD-Verbotes" und auch mit der Tatsache "Wir lassen uns nicht länger eine legale KP in der Bundesrepublik versagen!".

Wir hatten Grete Thiele beauftragt, namens der Verhandlungskommission sich mit allen Parteien in Verbindung zu setzen, um unseren Standpunkt darzulegen. Von der CDU-Fraktion wurde Grete damals im Bundestagsrestaurant empfangen. Das Ergebnis eines zweistündigen Gespräches war, dass die CDU-Fraktion sich nicht auf eine Aufhebung des KPD-Verbots einlassen wird und am Verbot mit Zähnen und Klauen festhalten wird.

Grete sprach mit dem damaligen FDP-Fraktionsvorsitzenden Mischnick. Der hat - auch in einem langen Gespräch - herumlaviert, aber gesagt, dass sich der Bundesvorstand der FDP auf einer seiner nächsten Sitzungen mit der Frage der Wiederzulassung der KPD befassen werde.

Für die SPD-Fraktion schrieb damals der Fraktionsvorsitzende Helmut Schmidt an Grete Thiele, dass die SPD-Fraktion den Justizminister Dr. Heinemann beauftragt habe, das Gespräch mit Grete Thiele zu führen. Ort und Termin sollten mit dem Justizminister selbst vereinbart werden. Es kam zur Vereinbarung des Termins. Grete Thiele und unser Genosse Schäfer haben von unserer Seite das Gespräch geführt. Von Seiten der damaligen Regierung: Heinemann und der damalige Staatssekretär Ehmke. Ihr müsst euch immer vor Augen halten: der Ehmke, das ist hinter den Kulissen bis auf den heutigen Tag sozusagen ein Strippenzieher, mal nach Rom, mal nach Moskau, mal da hin , mal dort hin...Er war immer auf diesem Gebiet tätig.

Bei dem Gespräch im Justizministerium wurden wir nach einigen allgemeinen Bemerkungen von Heinemann gebeten, unser Anliegen vorzutragen, obwohl er bereits von der SPD-Fraktion informiert worden war, worum es sich handelt. Grete und Max haben die Wege zur Aufhebung des KPD-Verbots dargelegt. Dabei verwiesen sie darauf, dass sowohl von dem damaligen Außenminister Willi Brandt als auch vom CDU-Ministerpräsident von NRW, Meyers, sowie von der Konferenz der Innenminister bereits 1967 in Ulm positive Äußerungen für die Wiederherstellung der Legalität der KPD vorlagen. Aber gleichzeitig wurde darauf verwiesen, dass es Maßnahmen zur Bekämpfung des politischen Auftretens der Kommunisten sowie die Beschlagnahme des Entwurfs für ein Programm der KPD gibt. Heinemann erwiderte darauf: eine legale KPD könne sofort auftreten. Es braucht keine Zustimmung zu ihrer politischen Tätigkeit. Aber in ihrer Programmatik müsse beachtet werden, was in seinem schon vorher erschienenen Artikel in der Juristenzeitschrift ausgeführt worden ist:

  1. Kein Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus.
  2. Die Diktatur des Proletariats, d.h. Zielstellung Macht der Arbeiterklasse, darf nicht im Programm enthalten sein.
  3. Weder in ihren organisatorischen Prinzipien, noch im Statut darf. der Begriff und der Inhalt des Demokratischen Zentralismus enthalten sein.

Das heißt also die genaue Wiederholung der drei Elemente, die im Verbotsurteil gestanden haben.

In dem Gespräch hat Max Schäfer sofort entgegnet, dass weder Brandt, noch führende CDU-Vertreter diese Forderung erhoben hatten und dass im übrigen der Marxismus-Leninismus als Weltanschauung und wissenschaftliche Lehre selbst vom Grundgesetz geschätzt ist usw. usf... Es wurde dann nochmals vorgetragen, dass es die Möglichkeit gibt - und darauf hatten uns ganz renommierte Juristen wie Prof. Ridder verwiesen - die Dinge durch eine Veränderung des Verfassungsgerichtsgesetzes aus der Welt zu schaffen. Denn: ist eine Partei erstmal durch das Bundesverfassungsgericht verboten, gibt es nach dem Gesetz keine Möglichkeit mehr/ dass diese Partei fortexistiert. Das ist eine Ungeheuerlichkeit! Stand die Frage, also durch ein entsprechendes Gesetz, für das man die 2/3-Drittel-Mehrheit brauchte, das Bundesverfassungsgerichtsgesetz, nicht die Verfassung, so zu ändern, dass das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit hatte, Verbote aufzuheben. Heinemann sah das, aber sie sagten, es gäbe keine Möglichkeit, dafür eine 2/3-Drittel-Mehrheit zu bekommen. Er wiederholte aber mehrmals, dass sich die KPD neu gründen könne. Heinemann ging ganz stark in die Richtung „Neugründung". Ehmke hat sich die Argumentation zu Eigen gemacht, die wir damals entwickelt haben, die Aufrechterhaltung des KPD-Verbotes bleibt das Damoklesschwert. Da könnt Ihr sagen, was Ihr wollt, das ist eine Einschränkung.

Wir kamen damals zu der Auffassung: den Kampf um die Aufhebung des KPD-Verbotes werden wir nicht mit Erfolg führen. Und wir haben uns entschlossen, eine Neukonstituierung einer kommunistischen Partei durchzuführen. Die Konstituierung hatte eine strategische Bedeutung und war auch strategisch gesehen ein großer Erfolg. Und ich möchte sagen, auch taktisch gesehen, ein großer, großer Erfolg. Aber nun darf man nicht übersehen, dass auch in der Folgezeit diese taktische Meisterleistung ihre Eigendynamik entwickelte und auch entwickelt, bis zum heutigen Tag.

Marxismus-Leninismus nicht als Weltanschauung, sondern als Anleitung zum Handeln ist verboten. Das äußert sich auch bis heute. Wir haben in keinem unserer Dokumente etwa die Feststellung: die DKP läßt sich vom Marxismus-Leninismus leiten. Sondern: wir lassen uns von den: Lehren von Marx, Engels und Lenin leiten und gründen unsere Tätigkeit auf die Weltanschauung des Marxismus.

Was glaubt Ihr, was uns das damals in der. internationalen kommunistischen Arbeiterbewegung eingebracht hat: dass wir nur als Beobachter zugelassen waren, bei der damaligen Weltkonferenz. Aber auch Fragen: was ist das für eine Partei? Mutmaßungen: die deutschen Kommunisten gehen den Weg des Reformismus, Opportunismus usw. usf. Na gut, wir haben das ja doch hingekriegt, dass dem nicht so ist, wie man mancherorts vermutete.

So geht es mit den anderen Elementen, die verboten sind, auch. Es gibt ebenfalls kein Dokument, in dem festgeschrieben ist: der demokratische Zentralismus ist unser Prinzip. Die Vereinigung von zentraler Aktion und der Verbindlichkeit von Beschlüssen der übergeordneten für die untergeordneten Leitungen usw.usf..., heißt es bei uns.

Manche Genossen fragen: Was hat dean euch gestochen, jetzt plötzlich wieder die Forderung nach Aufhebung des KPD-Verbots aufleben zu lassen? Das Fortwirken des KPD-Verbotes gehört zu einem Teil der bundesdeutschen Wirklichkeit und ist ein gewaltiges Handicap auch für die Entwicklung unserer Partei. Wir können uns drehen und werden, wie wir wollen, wenn wir das nicht wegkriegen, diese uns wirklich Grenzen setzende negative Rahmenbedingung, dann werden auch immer der Entwicklung der Partei gewisse Grenzen gesetzt sein. Nicht nur bei Wahlen. Man soll doch nicht übersehen, dass die Berufsverbote ganz wesentlich auf der Übertragung dieses Verbotsurteils auf die DKP beruht. Und man soll doch nicht übersehen, dass das auch die Grundlage ist für die alljährliche Feststellung, die DKP sei "verfassungsfeindlich". Welcher normale Mensch macht denn da einen Unterschied zu "verfassungswidrig"? Für die Masse sind wir eine verfassungsfeindliche Partei. Die Menschen kriegen das ständig vor Augen geführt. Und bei dem parlamentarischen Denken, bei diesem demokratistischen Denken - ich meine nicht wahrhaft demokratisches Denken, sondern die Fixierung auf Parlamentarisches -,da ist das ein Handicap.

Aus Zeitgründen verzichte ich auf die anderen Fragen, die ich noch hatte. Ich hätte noch gern etwas gesagt zur Erarbeitung unserer Strategie, zu Reformen und dergleichen mehr. Ich möchte dabei abschließend jedoch auf eins verweisen:

Schon bei der Erarbeitung unserer Grundsatzerklärung haben wir diese Problematik "Sozialismus/Reformen", Reform/Revolution ganz leidenschaftlich diskutiert. Heute geschieht diese Diskussion auf einem qualitativ neuen Hintergrund.

Ich will euch mal auf etwas aufmerksam machen: nach dem Konstituierungsparteitag hat Kurt Bachmann in den Marxistischen Blättern einen Artikel geschrieben. In dem entsprechenden Teil, der unserer Strategie gewidmet ist, wird unter anderem festgestellt, "der Kampf um demokratische Reformen ist jedoch nicht nur ein Teilprozess, eine Teilerscheinung des Kampfes für den Sozialismus. Dem Kampf um demokratische Reformen kommt in der heutigen Periode der Arbeiterbewegung eine große selbständige Bedeutung zu. Er ist im buchstäblichen Sinne des Wortes für die Arbeiterbewegung lebensnotwendig geworden, wenn sic einen neuen Weltkrieg, wenn sie eine neue faschistische Diktatur verhindern will. Aus diesen Gründen steht im Mittelpunkt der Grundsatzerklärung ein Programm konkreter demokratischer Alternativen, das Aktionsprogramm zur demokratischen Erneuerung von Staat und Gesellschaft."

Ich bitte die Aufmerksamkeit zu richten auf die Aussage … haben Reformen "eine große selbständige Bedeutung"...also nicht nur die Funktion einer Art Durchlauferhitzer für revolutionäre Umgestaltung. Mit dieser Problematik sind wir nie ganz fertig geworden. Und darum geht es u.a. heute auch bei der derzeitigen Ausarbeitung für unsere Programmatik für die nächsten Jahre, "Bundesrepublik 2000". Es ist gut, auch die Geschichte unserer strategischen Orientierung von der Grundsatzerklärung über die Düsseldorfer Thesen, das Parteiprogramm 1978, die Thesen des Hamburger Parteitages...in der Chronologie darzustellen. Ich halte das für sehr wichtig.

Ich halte es für sehr wichtig, der Partei auch folgendes darzustellen: wir haben damals Manfred Kapluck beauftragt, einen Beitrag zu schreiben über unser Verhältnis zur Sozialdemokratie. Da sind folgende Feststellungen drin: "Die sozialdemokratische Führungsspitze hat sich in das System des staatsmonopolistischen Kapitalismus eingegliedert und der oberste politische Grundsatz dieser Führer ist die offene Zusammenarbeit mit dem Großkapital. Dafür opfert sie die Grundsätze und Traditionen der Arbeiterbewegung usw.usf." Da ist ja was dran. Aber, als der Scheppel diesen Artikel schrieb, hatten wir wenig später uns in einem Brief an die sozialdemokratische Führung gewandt. Und ich mache darauf aufmerksam, das war das erste und bisher einmalige Ereignis, dass sich dann die Führung der Partei mit unserem Anliegen offiziell, in einem offenen Brief an alle sozialdemokratischen Mitglieder auseinandergesetzt hat. Und in diesem "Liebe-Freunde-Brief" an die Sozialdemokraten hieß es dann: "Die Deutsche Kommunistische Partei hat sich in einem offenen Brief an die Mitglieder und Funktionäre der SPD gewandt. Unser Parteivorstand hat dazu in seiner Sitzung vom 13. Dezember 1968 folgende Erklärung abgegeben: Der offene Brief besteht ungeachtet vieler freundlicher Worte ausschließlich aus Attacken gegen die Politik der SPD. Er soll nach außen desavouieren und nach innen Verwirrung schaffen. Die DKP wird feststellen müssen, dass ihre Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind. Außer einer harten politischen Auseinandersetzung haben die Sozialdemokraten der DKP nichts zu bieten...usw.usf..."

Wenn man den damaligen Ausgangspunkt nimmt und vergleicht mit der jetzigen Zeit, in der wir in vielen Bereichen in der Aktionseinheit mit Sozialdemokraten sind, dann stellt sich die Frage: Was lag denn dazwischen, das diese Aktionseinheit möglich gemacht hat? Dazwischen lag die Korrektur - auch Aufarbeitung von Geschichte -, die Korrektur der Meinung, dass man Aktionseinheit - ich vereinfache das - nur durch die Mobilisierung der SPD-Basis gegen die Obrigkeit erreichen kann. Das haben wir grundlegend korrigiert. Und das gehört mit zu einem der Elemente, warum wir in der Aktionseinheit weitergekommen sind.

Ich will das auf den einzelnen Gebieten nicht fortsetzen. Aber unsere Historiker müssen an solchen gravierenden Punkten auch die Entwicklung unserer Politik, auch in den Tatsachen und in einer gewissen Chronologie darstellen.

Zum Abschluss:

Ihr alle habt mit Sicherheit Dobrynin in der UZ gelesen - auch seine Passage zur Aufarbeitung der Geschichte. Ja, auch wir beteiligen uns daran. Was solche Feststellungen betrifft - es geht um die Wiederherstellung der historischen Wahrheit -, so betrifft das sicherlich die Zeit vor der DKP. Aber, was unsere Zeit betrifft, so brauchen wir keine Wahrheit wiederherzustellen sondern wir müssen sie erstmal überhaupt herstellen, bevor wir sie wiederherstellen können.

Da haben wir ein gewaltiges Defizit. Es ist verständlich, es ist aber zugleich auch bedauerlich, dass - obwohl wir vor Jahren auf dem Parteitag den Beschluss gefasst haben und dafür auch Genossinnen und Genossen freigesetzt haben - wir immer noch keine zusammenhängende Geschichte der kommunistischen Bewegung haben!

Quelle:
Tips und Materialien für Bildungsveranwortliche und andere Referent/inn/en im Parteibildungsjahr (/7/88)
Herausgegeben von der Abt. Theorie und marxistische Bildung beim PV der DKP