Die Haltung der DKP in Zeiten der zunehmenden Krise der EU

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28.05.2019:Die "Bergische Kaffeetafel" ist ein ein loser Zusammenschlusses von Einzelpersonen im Bergischen Land. Am Vortag der Europawahl hat sie sich mit dem Thema beschäftigen, wie Kommunistinnen und Kommunisten die Entwicklungen in Europa und in der Europäischen Union einschätzen. Gibt es eher Chancen, auf nationaler Ebene weitreichende Veränderungen erkämpfen zu können, oder brauchen es eine breite, europaweite Allianz linker Kräfte. Zu diesen Themen wurden zwei Referenten eingeladen, die in der DKP unterschiedliche Positionen einnehmen:

  • Thomas Hagenhofer, Vorsitzender der Bezirksorganisation Saarland der DKP
  • Günter Pohl, Leiter der Internationalen Kommission des Parteivorstandes

Wir dokumentieren hier den Beitrag von Thomas Hagenhofer

 

Die Haltung der DKP in Zeiten der zunehmenden Krise der EU

Redemanuskript, Thomas Hagenhofer, 25.05.19, Bergische Kaffeetafel

Zu Beginn einer solchen Diskussion ist es oft nützlich, sich darüber zu verständigen, wo eigentlich die übereinstimmenden und wo unterschiedliche Sichtweisen zum Thema EU in der DKP vorliegen.

Ich gehe mal davon aus, dass wir uns einig sind in der Ablehnung der Politik der EU, angefangen von ihrer Militarisierung, über die Austeritätspolitik, ihrer Agrar- und Umweltpolitik, die notfalls erpresserische Dominanz vor allem Deutschlands, aber auch Frankreichs gegenüber allen anderen Staaten, bis zur mörderischen Abschottung gegen Geflüchtete und die Erzeugung wirtschaftlicher Not durch ihre imperialistische Handelspolitik – z. B. gegenüber den Staaten Afrikas. Hier kommt – so wie auf nationaler Ebene in Deutschland – die zerstörerische Dominanz des Neoliberalismus zum Ausdruck.

Keine Übereinstimmung gibt es wohl in folgenden Fragen:

  1. Ist die EU ein mehr oder weniger historisch zufällig entstandenes Konstrukt imperialistischer Staaten oder ist die Entstehung supranationaler Konstruktionen eine objektive Notwendigkeit für den heutigen global vernetzten Kapitalismus?
  2. Ist die EU – anders als die Nationalstaaten – nicht reformierbar oder gelten hier die gleichen Gesetzmäßigkeiten des Klassenkampfes auf internationaler Ebene?
  3. Ist ein Exit aus der EU eine sinnvolle Forderung linker Politik oder lenkt sie von den eigentlich zu führenden Klassenauseinandersetzungen ab?
  4. Leitet sich unmittelbar aus 3) ab: Welche Strategie und Taktik müssen KommunistInnen heute zur gesellschaftlichen Veränderung beschreiten – wie verändern wir die politischen Kräfteverhältnisse?

Die erste Frage spiegelt einen lange schwelenden Streit in der DKP wider, der bereits in der Erarbeitung des Parteiprogramms sichtbar wurde.

Im Programm von 2006 heißt es zu diesem Thema:

„In der Konstruktion der Europäischen Union, des Binnenmarktes und der Währungsunion bündeln sich die Interessen der Konzerne an einem großen, von Grenzen und Regularien befreiten Markt. Aus einer Position der Stärke in Westeuropa werden die anderen Märkte angegriffen. (…)Die wirtschaftliche und die politische Dynamik drängen die EU, sich den Kern eines supranationalen Staatsapparates zu verschaffen. Die Europäische Union hat sich zu einem eigenständigen ökonomischen, politischen und militärischen Zentrum neben den USA entwickelt.“

„Europa wird den Profit- und Machtinteressen des Transnationalen Kapitals unterworfen, ohne dass die widerstreitenden Interessen der transnationalen und der nationalen Bourgeoisien aufgehoben werden. Deshalb ist der Integrationsprozess ein Feld des Konkurrenzkampfes und der politischen Konflikte. Die europäische Integration bleibt ein Feld der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Kräften der Bourgeoisie, vor allem aber auch des Klassenkampfes.“

Und wir haben nicht nur den Charakter analysiert sondern auch einen Weg der Veränderung aufgezeigt:

„Die weitere Entwicklung der Europäischen Union wird davon abhängen, inwieweit es der gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung, der globalisierungs-kritischen Bewegung, den demokratischen Kräften gelingt, im gemeinsamen Handeln die Beherrschung der EU-Institutionen durch das Monopolkapital einzuschränken, diese Institutionen zu demokratisieren und selbst Einfluss auf deren Entscheidungen zu gewinnen. Der imperialistische Charakter der EU-Konstruktion macht jedoch die Erwartung illusorisch, diese Europäische Union könne ohne einen grundlegenden Umbruch in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen zu einem demokratischen, zivilen und solidarischen Gegenpol zum US-Imperialismus werden. Nur ein Europa, das gegen den Neoliberalismus und für den Frieden in der Welt arbeitet, würde das internationale Kräfteverhältnis entscheidend verändern. Dazu muss die Macht der Trans-nationalen Konzerne gebrochen und müssen die Kämpfe auf nationaler und europäischer Ebene miteinander verbunden werden.“

Die EU ist kein politischer Kippschalter der Entwicklung des Kapitalismus, den man einfach so ausknipsen kann. Warum ist das so?

Der Prozess der europäischen Integration hat tiefe Spuren in der politischen, sozialen und kulturellen Entwicklung Europas hinterlassen, hat die Realität verändert. Wir haben es mittlerweile mit international vernetzten Produktions- und Zulieferstrukturen zu tun. Sie gehören zur aktuellen Phase der Produktivkraftentwicklung im Kapitalismus. So wie die Bildung von Nationalstaaten eine Notwendigkeit für die Produktionsweise im 18. und 19. Jahrhundert war, so ist dies heute die Herausbildung supranationaler Einheiten. Die Herauslösung eines Staates wie GB ist deshalb wie eine Operation am offenen Herzen eines sozio-politischen Organismus. Es sind nicht vor allem die Sturheit der EU, des Unterhauses oder der Wunsch zur Bestrafung für die Brexitentscheidung, es sind objektive Probleme, wie man nicht zuletzt an der komplizierten Frage des Status von Nordirland sieht. Ich komme aus einer Großregion Europas, die Teile BE und Westfrankreichs, LUX, Niederlande und Rheinland-Pfalz/Saarland umfasst. Ich will einige Beispiele für die heutige Realität in der EU skizieren:

In den letzten Jahrzehnten gibt es einen grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt, der sich aktuell in folgenden Zahlen ausdrückt:

Insgesamt überqueren mehr als 240.000 Menschen mindestens einmal pro Woche eine großregionale Grenze auf dem Weg zur Arbeit. Diese Zahl entspricht einem Viertel der Gesamteinwohnerzahl des Saarlandes. Im Saarland arbeiten 15.500 Menschen aus der französischen Grenzregion, das sind etwa so viele wie Saarländer/innen in Rheinland-Pfalz arbeiten.

Die großen Einpendlerzahlen nach Luxemburg (fast 160.000 Arbeitende) sind übrigens ein wichtiger Auslöser für den Verkehrskollaps in unserem Nachbarland und für die Einführung des kostenlosen ÖPNV – die wesentlich finanzmarktgetriebene Ökonomie Luxemburgs wirft für den Staat immer noch genügend ab, dass er sich dies leisten kann.

30% des Umsatzes im Saarbrücker Einzelhandel wird von Kunden aus Frankreich getätigt. Schon die Einführung der Autobahnmaut lassen die Signalglocken klingeln.

Kurzum: Ein Austritt aus der EU ist mittlerweile vergleichbar mit einem Austritt aus einem Nationalstaat. Er ist möglich, siehe Brexit, siehe Katalonien, siehe Schottland, er ist aber nicht per se ein Fortschritt für die damit konfrontierten Menschen und schon gar nicht für eine Arbeiterklasse, die aus eine Position der Defensive heraus agieren muss wie in GB. Ich sage eines voraus: Egal, wie das mit dem Brexit ausgeht – die Zeche werden die arbeitenden Menschen dort zu zahlen haben. Ihnen werden alle Lasten aufgebürdet werden – ob sie es angesichts der rassistisch und nationalistisch aufgeladenen Stimmung merken werden, ist mindestens fraglich.

Zur zweiten Frage, der nach der Reformierbarkeit der EU:

Manchmal hat man ja Glück in Vorbereitung einer solchen Diskussion. So ist unlängst der Artikel „Die Illusion eines Lexit“ von Marc Botenga, Listenführer für die Europawahl der PTB/PVDA (Partei der Arbeit Belgiens) erschienen. Ich empfehle den Beitrag auf kommunisten.de ausdrücklich.

Er schreibt darin:

„Wenn es andere Machtverhältnisse gäbe, würden diese Texte ignoriert oder auf den Kopf gestellt werden. Die Bewertung der europäischen linken Regierungen seit 1945 veranschaulicht die These, dass eine Konfrontation mit dem nationalen und europäischen Kapital die Eroberung der Macht durch die Mobilisierung und die Organisation einer beträchtlichen Gegenmacht erfordert und nicht allein die Eroberung der Regierung.

So wie die amerikanische Verfassung einen sozialistischen Staat in Vermont nicht behindert, sind es nicht die europäischen Verträge, die die linke Politik blockieren. Sie sind ein Ausdruck und verstärken bis zu einem bestimmten Grad die bestehenden Machtverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit.

Von der Montanunion (Kohle- und Stahl) bis hin zu den Mechanismen der Wirtschaftssteuerung des Lissabon-Vertrags sind es die nationalen, sozialdemokratischen und rechtsgerichteten Regierungen, die auf Betreiben des Kapitals die entscheidenden Kräfte für die europäische Integration waren. Noch heute werden die Beschlüsse, so wie sie sind, vom Rat, dem zwischenstaatlichen Organ der Union, vorgenommen. Die europäischen Nationalstaaten sind keine Bastionen gegen das Kapital, sondern stärken und schützen unaufhörlich die Interessen großer multinationaler Unternehmen.

Die Exit-Kampagnen fördern somit eine klassenlose Abstraktion des Nationalstaates. Quantitativ gesehen kann das Kapital auf europäischer Ebene ein bedeutenderes Machtgewicht haben als in einigen Nationalstaaten. Hinsichtlich des grundlegenden Klassencharakters gibt es jedoch keinen qualitativen Unterschied zwischen dem entstehenden europäischen supranationalen Staat und einzelnen Mitgliedstaaten. Solange internationales Kapital und transnationale Unternehmen die politische Agenda bestimmen, wird ein unabhängiges Belgien, Deutschland oder Italien nicht wirklich sozial oder demokratisch sein.  Aber wie sieht es mit einem Ausstieg unter der Führung einer linken Regierung aus? Könnte es ein einzelnes Land in ein soziales Paradies verwandeln? Ohne mit dem Kapitalismus zu brechen, würde ein "unabhängiges" Land mit seiner linken Regierung immer noch im Wettbewerb mit einem riesigen kapitalistischen Wirtschaftsblock direkt nebenan stehen. Ein solcher Wettbewerb "erfordert" wahrscheinlich Opfer und noch strengere Austerität, wenn man den eigenen nationalen Unternehmen eine Chance geben will. Mit anderen Worten, der Exit allein kann sich weder dem globalen Kapitalismus noch dem harten Wettbewerb entziehen.

(Aber es ist ein Illusion zu glauben, dass die europäischen Machtverhältnisse umgangen werden können. Die europäischen Volkswirtschaften sind hochgradig und zunehmend vernetzt. Nach Schätzung gehen etwa zwei Drittel der aus einem Mitgliedstaat ausgeführten Waren und Dienstleistungen in andere Mitgliedstaaten. Im Jahr 2010 stammten etwa 70 % der ausländischen Direktinvestitionen, die in die unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten flossen, aus anderen europäischen Ländern. Vor allem aber gibt es eine Vernetzung auf der Produktions- und Vertriebsebene. Kurzfristig hätte ein Ausstieg dramatische Folgen. Claus Offe und Yanis Varoufakis geben zu, dass der Euro ein Fehler war, betrachten aber die Kosten für die Rückabwicklung als zu hoch und schätzen daher die Möglichkeit einer solchen Rückabwicklung für eingeschränkt! So Joseph Stiglitz: “Die Regierungsmitglieder wüssten genau, dass es Chaos geben würde in dem Moment der Entscheidung, die Währung zu verlassen. Und sie wüssten ebenso, dass sie wahrscheinlich von der „Macht“ vertrieben würden.“  Weder die rasche Abwertung der neuen Währung noch die Kapitalkontrolle würden Engpässe verhindern. Was auch immer der einseitige Schuldenerlass bringen kann, er würde in den ersten Monaten nach dem Ausstieg nicht viel weiter helfen. Sehr oft wird ein Land, das erwägt, die EU zu verlassen, als eine Insel betrachtet, die in der Lage wäre, jede wirtschaftliche Entscheidung eigenständig treffen zu können. Stellen Sie sich ein Land vor, das unter der Führung einer linken Regierung die Union oder die Eurozone verlässt. Formal würde es nicht mehr unter dem Druck der europäischen Wirtschaftsregierung stehen. Doch den anderen Mitgliedstaaten würden auf Wunsch ihrer Großunternehmen nicht die Mittel fehlen, um Druck auf das Rebellenland auszuüben. Die Gegner des ausscheidenden Staates würden sofort die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen eines Exits nutzen. Im Jahr 2015 reduzierte die Europäische Union die Griechenland zur Verfügung gestellte Mittel, um es zu zwingen, den Anordnungen unverzüglich Folge zu leisten.

Stellen Sie sich vor, dass der Einsatz höher ist. Stellen Sie sich vor, dass das gesamte soziale und wirtschaftliche Modell auf dem Spiel stehen würde. Keine der kapitalistischen Regierungen um den neuen, wirklich sozialen und demokratischen Staat herum würde das erfolgreiche Entstehen einer Alternative tolerieren. Die Blockade des Zugangs zur Liquidität wäre lediglich die erste Sanktion. Einer Sanktion, der es schwierig aber vielleicht nicht unmöglich wäre, teilweise mit einer sofortigen sauberen Währung zu begegnen. Aber was dann? Belgien importiert derzeit rund 80% seines Energiebedarfs. Wenn es selbst die Kontrolle über seine Produktion übernehmen würde, riefe es sicherlich eine Reaktion der multinationalen Energieriesen und ihrer Staaten hervor. In Griechenland und Spanien wird die Übernahme der Kontrolle über die Industrieproduktion angesichts der derzeitigen Situation dieser Branchen wahrscheinlich nicht einmal ausreichen, zumindest nicht kurzfristig. Dass eine Regierung unter solchen Umständen auf die aktive Unterstützung seines Volkes angewiesen wäre, ist noch untertrieben. Der internationale politische und wirtschaftliche Druck hätte einen sehr negativen Einfluss auf die nationalen Machtverhältnisse innerhalb des ausscheidenden Landes. Zumindest sollte es eine breite europäische Solidaritätsbewegung mit diesem Land geben. Es reicht daher nicht aus, sich gut auf die Teilnahme an der Macht (und nicht nur an der Regierung!) in einem Land vorzubereiten. Gleichzeitig muss eine europäische Bewegung gebildet werden. Der relative Grad der Einheitlichkeit des Kapitals lässt es nicht zu, den Aufbau einer Gegenmacht auf einen einzigen Nationalstaat zu beschränken.)

Es ist wahr, dass die sozialen Bewegungen allzu oft in ihrem Widerstand isoliert bleiben, während ihre Gegner mit einer einzigen europäischen und neoliberalen Stimme sprechen. Das muss sich ändern! Bereits immer mehr Parteien, Bewegungen und Gewerkschaften stellen radikale und demokratische Forderungen an die Europäische Union, um die Situation der Lohnabhängigen in Europa zu verbessern. Europa ist zu einem Schlachtfeld geworden.

Indem die radikale Linke sich auf den Slogan des Austritts aus der EU beschränkt, überlässt sie den täglichen Kampf um die europäischen Themen denjenigen, die den Menschen vermitteln wollen, dass die Europäische Union zu einer sozialen, demokratischen, ökologischen und menschenfreundlichen Staat reformiert werden könnte. Sie überlässt sie denen, die lediglich um ein paar Brotkrumen betteln, statt auf die gesamte Bäckerei zu setzen.“

Soweit Marc Botenga von der PTB.

Für mich ist eine Behauptung, ein politisches, staatliches Gebilde sei nicht reformierbar, fast metaphysischer Natur. Die EU ist genauso wenig in Stein gemeißelt wie jeder Nationalstaat. Die EU ist Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Sie ist so reaktionär wie es das Kräfteverhältnis von Kapital und Arbeit zulässt. Und offensichtlich ist man sich im Parteivorstand nicht ganz sicher, ob die Plakatlosung „Nein zur EU“ den Menschen vermittelbar ist. So wurde im Fernsehspot zu den Europawahlen auf einmal die Losung „Nein zu dieser EU“ ausgestrahlt. Manche mögen dies für eine Lappalie halten. Ich sehe darin den Unterschied zwischen einer sektiererischen Position und einer Einladung zum gemeinsamen sinnvollen Wahlkampf. Schade, dass sich die anderen Wahlkampfmaterialien so weit von den Grundzügen des Parteiprogramms entfernt haben. Und noch eine letzte Anmerkung dazu: Es ist für mich eine nahezu skandalöses Versagen, dass im achtseitigen uz-extra zu den EU-Wahlen nicht einmal die menschenverachtende tödliche Abschottungspolitik der EU und die Kriminalisierung der Seenotrettung zum Thema gemacht wurde. Ich befürchte, dahinter steckt die sich zwischen den Zeilen andeutende Ablehnung von Migration generell, die sich dann in der Praxis als Solidaritätsentzug gegen Geflüchtete herausstellt. Aber das ist heute nicht das Thema.

Zu 3) Kann ein Exit einzelner Saaten aus der EU oder aus dem Euro sinnvoll sein?

Hierzu möchte ich aus einem Interview mit Pierre Khalfa von Attac Frankreich für die Humanité zitieren, es ist veröffentlicht auf kommunisten.de. Er macht deutlich, dass die Abstimmung für den Brexit keine fortschrittliche Entscheidung war, sondern geprägt von Fremdenfeindlichkeit, der Sehnsucht nach einem imperialen Großbritannien und der Absicht der hartnäckigsten Konservativen, eine neoliberale Schocktherapie nach dem Vorbild von Thatcher einzuleiten.

Es ging und geht ihnen um die Verschlechterung der Lage der arbeitenden Menschen gegenüber europäischen Standards. Dazu ist ihnen jede Demagogie und jede Lüge recht. Wie aus diesem rechten Projekt Fortschritte für die Arbeiterklasse in GB erwachsen sollen, ist mir ein absolutes Rätsel.

Anders verhält es sich natürlich mit einem Szenario einer linken Regierung eines Europäischen Staates, der sich aus den Abhängigkeitsverhältnissen und von den Erpressungen der EU befreien möchte. Dieses Austrittsszenarium ist als Plan B bekannt geworden. Pierre Khalifa weist in seinem Interview aber auch auf die Risiken dieses Prozesses hin:

„Die Frage nach einem Austritt aus dem Euro oder nicht muss daher in diesem Zusammenhang gestellt werden. Er ist keine Vorbedingung für einen Bruch mit dem Neoliberalismus, aber er kann in einem bestimmten Moment dessen Ergebnis sein. Es wird einen politischen Kampf geben, das Land, das mit dem Neoliberalismus brechen will, wird Maßnahmen ergreifen müssen, die den europäischen Verträgen widersprechen. Es könnte daher aus der Eurozone und der EU ausgeschlossen werden, auch wenn dies theoretisch nicht möglich ist, denn es ist in den Verträgen nicht vorgesehen. Im Hinblick darauf, noch mehr als im Hinblick auf den Brexit als solchen, muss man die Lehren daraus ziehen, was in Griechenland mit der Syriza-Regierung passiert ist, die glaubte, dass man mit den europäischen Institutionen unvorbereitet, in gutem Glauben verhandeln könnte.

Sie wurde von den europäischen Institutionen finanziell erdrosselt und hat keine Maßnahmen dagegen ergriffen. Sie befand sich in dem Dilemma zwischen Kapitulation und Austritt aus dem Euro. Und da sie absolut nicht den Euro verlassen wollte und dieses Ziel über alle anderen gestellt wurde, kapitulierte sie schließlich. Unser Ziel ist es, nicht in dieses Dilemma zu geraten – Kapitulation oder Ausstieg aus dem Euro. Aber damit diese Strategie funktioniert, müssen unsere Gegner überzeugt sein, dass wir nicht zögern würden aus dem Euro auszutreten, wenn sie uns zur Kapitulation drängen wollten. Um den Austritt zu vermeiden darf man keine Angst davor haben.“

Er sieht die Frage des Exit also richtigerweise als eine taktische Herausforderung in dieser Auseinandersetzung, aber nicht als anzustrebendes Ziel.

Auch ein nicht ganz von der Hand zu weisender Zusammenbruch der EU wird unter den momentanen Verhältnissen kein Fortschritt sein. Was wird denn darauf folgen? Die großen imperialistischen Staaten werden wieder zu den alten Wegen der internationalen Ausbeutung und Unterdrückung in Europa zurückkehren. Diese werden die Vorteile einer eigenen Währung für kleine Staaten wie Griechenland bei weitem übersteigen.

Und damit zur 4. und gleichzeitig wichtigsten, aber komplizierten Frage: Wie verändern wir die politischen Kräfteverhältnisse?

Im Gemeinsamen Appell von 20 linken Parteien zu den EU-Wahlen: Für ein Europa der arbeitenden Menschen und der Völker heißt es:

„Die Geschichte des europäischen Kontinents ist voll von militanten und revolutionären Hinterlassenschaften. Das beweist, dass die Völker – mit den Werktätigen und der Jugend als der Pioniermacht – mit ihren Kämpfen die gegenwärtigen Angriffe und barbarischen Maßnahmen stoppen können; den Weg zu Rechtsextremismus und Faschismus erneut blockieren; den Weg für große soziale Veränderungen mit antiimperialistischem und monopolfeindlichem Charakter ebnen können: eine Alternative zum Kapitalismus und seinen Sackgassen schaffen; die Vision vom Aufbau neuer Gesellschaften für Fortschritt, Frieden und soziale Gerechtigkeit erneut projizieren.

Wir vereinen Kräfte - Wir stärken die Kämpfe

(…)

Wir fordern die Werktätigen, die Jugendlichen, die Frauen und ganz allgemein die Völker der Mitgliedstaaten der EU auf, ihre Forderungen, Bestrebungen, Kämpfe und Visionen mit ihrer Stimme bei den Wahlen zum Europäischen Parlament zum Ausdruck zu bringen und die Kräfte zu stärken, die – wie wir, die Parteien, die diesen Appell unterzeichnen – an vorderster Front in den Arbeits- und Sozialkämpfen stehen und sich verpflichten, den Kampf fortzusetzen:

Für ein Europa der sozialen Rechte…

Für ein Europa des wirtschaftlichen, sozialen und ökologisch nachhaltigen Fortschritts…

Für ein Europa des Friedens und der Zusammenarbeit mit allen Völkern der Welt…

Für ein Europa der Demokratie, der Zusammenarbeit zwischen souveränen und gleichberechtigten Staaten…

Für ein Europa der Freiheit, der Rechte und der Solidarität…

Wir arbeiten zusammen und stärken die Fraktion der Linken im Europäischen Parlament

Zu diesem Zweck werden wir unsere Zusammenarbeit weiterentwickeln, und wir verpflichten uns, die Arbeit der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im Europäischen Parlament auf der Grundlage der Gleichheit und der gegenseitigen Achtung unserer Unterschiede, Wege, Erfahrungen und Besonderheiten fortzusetzen; unser gemeinsames Vorgehen über die GUE/NGL als eine Arena der Zusammenarbeit fortzusetzen, die sich auf die vielen Dinge konzentriert, die uns im Kampf für ein anderes Europa verbinden.…“

Dieser Appell wurde unterzeichnet von 20 linken Parteien der EU, u.a. von der DKP und der Partei DIE LINKE. Leider wollten beide Parteien im Wahlkampf nicht viel davon wissen. Schon gar nicht, dass sie dies gemeinsam unterschrieben haben. Da ist wieder mal eine Chance verpasst worden für mehr Zusammenarbeit von linken Kräften, die wir so dringend brauchen.

Es geht doch heute darum, die Beherrschung dieser EU durch das Monopolkapital einzuschränken, die Institutionen zu demokratisieren und Einfluss auf deren Entscheidungen zu gewinnen. Nur eine EU, die gegen den Neoliberalismus und für den Frieden in der Welt arbeitet, nicht weiter hochrüstet, soziale und ökologische Probleme löst, wäre ein gesellschaftlicher Fortschritt für ganz Europa. Dazu muss letztlich die Macht der Transnationalen Konzerne gebrochen und müssen die Kämpfe auf nationaler und europäischer Ebene miteinander verbunden werden. Was von dieser EU dann weiterentwickelt und bewahrt werden kann oder radikal zur Seite geschoben werden muss, wird von den Menschen im Ringen für eine bessere Zukunft entschieden.

Es ist doch interessant, dass z. B. der EUGH im Vorfeld dieser Wahl zwei spannende Urteile gefällt hat: Erstens: Kein Mensch, auch kein straffälliger, darf in Staaten abgeschoben werden, in dem ihm Folter oder andere unmenschliche Behandlung drohen. Damit hat nun Seehofer zu kämpfen. Und zweitens die Entscheidung zur verpflichtenden Erfassung von Arbeitszeiten. Und was passiert: Der saarländische Ober-Europäer Wirtschaftsminister Altmeyer kündigt eine Rangehensweise nach dem Motto legal-illegal-scheißegal an, weil die Unternehmerverbände Sturm laufen und auf die Extraprofite aus unbezahlter Arbeit nicht verzichten wollen. Es ist eben nicht so einfach mit dem Verhältnis EU und Nationalstaat, wenn man sich wirkungsvoll auf dem Feld von Strategie und Taktik bewegen will.

Wir brauchen im ersten Schritt dringend einen Politikwechsel national und in der EU, der aus den Abwehrkämpfen, aber auch aus neuen Bewegungen entstehen kann. Beides muss von unten erkämpft werden. Ich habe bislang dazu nichts Besseres gefunden als unser Konzept der gesellschaftlichen Allianzen. Und die Ansätze liegen buchstäblich auf der Straße: Im Zusammengehen von Solibewegung für Geflüchtete mit der Mieter- und Demokratiebewegung wie bei Unteilbar oder Ausgehetzt, bei den gemeinsamen Ostermärschen von Friedensbewegung und FFF – wir sind in SB von 450 TN auf 800 TN hochgeschnellt. Es ist doch wunderbar, wenn gestern die FFF-Sprecherin im saarland den Kapitalismus als das entscheidende Hindernis für Klimagerechtigkeit geißelt und einen Systemwechsel fordert. Das sind doch interessante neue Kräfte, mit denen wir in Dialog treten. Wenn ich denen aber erklären müsste, dass meine Partei bundesweit Plakate mit der Losung „Nein zur EU“ aufhängt, dann werden die sich mit einem müden Lächeln anderen Gesprächspartnern zuwenden. Ja, es gibt eine gewisse Aufbruchsstimmung. Auch wenn die Bäume der Herrschenden groß sind, sie wachsen nicht in den Himmel – in Berlin nicht, auch nicht in Wien und auch nicht in Brüssel.

Thomas Hagenhofer